Mittwoch, 30. Mai 2012

Winky Wonky ... Orbital: Elektro in der Neunziger-Schleife

Mit elektronischer Musik ist es so eine zweischneidige Sache. Sie ist kaum lebendiger als eine Herzrhythmusmaschine, aber nicht so tot wie seine größte Bewegung in den neunziger Jahren - der Techno. Wer aber Techno als deutschen Kartoffelstampfer der Marke "Hyper Hyper" deklassiert, tut einem der wichtigsten Protagonisten der Ende der Achtziger in London aufkeimenden Elektro-Szene Unrecht. Neben Autechre und The Prodigy ist wohl das Duo Orbital die anspruchsvollste und zuverlässigste Formation in Sachen Feinschliff.

In seiner 25-jährigen Geschichte veröffentlichten die Gebrüder Paul und Phil Hartnoll gerade einmal acht Studioalben. "Wonky" ist das jüngste Werk der beiden Londoner Szenebegründer. Wie jüngst auch zum Teil bei Autechre geschehen, vollziehen die Hartnolls einen Blick zurück in ihre Vergangenheit. Die Klänge auf "Wonky" erinnern fast an die entrückten Töne auf ihrem "Blue Album", das zwar 2004 erschien aber dennoch die ätherischen Sphären ihrer Frühphase zu atmen weiß, die Elektro-Jünger schon bei Autechre zu schätzen wussten. Nur dass Autechre weitaus sperriger ihren Elektrostoff servieren als Orbital. Denn die Hartnolls verstehen es tanzbare und griffige Rhythmen in sanfte und gläsern erscheinende Klangmäntel zu packen. Beispiel? Bei "New France" erscheint wie eine Fata Morgana aus den Neunzigern jene Frauenstimme, die mit ihrem Heldinnengesang wie eine herunter gekommene Elfe klingt. Remember Tanzbeat-Techno, remember Moby, ... von Orbital nur klüger und ausgeklügelter umgesetzt als bei den Mark Oh's der Welt.

Warum? Die Gebrüder Hartnoll denken mit Herz und Hirn. Sie schrauben, schichten und schleiern ihre Musik. Die Amplituden ihrer Sequenzer können so nur ein kompaktes, aber kein heilloses Bild ergeben. Wenn das nicht sexy für einen Elektro-Kenner ist, wie für den Rocker seine E-Gitarre, der seiner Sechssaitigen ein jämmerlich gegniedeltes Solo ausquetscht? Bleibt man bei dem Vergleich Elektro versus Rock, dann kann Orbital für den Techno nur das sein wie eine anspruchsvolle Progressive-Rock-Band für den Heavy Metal. Die Hartnolls machen echte Strommusik. Und die klingt streckenweise, dass sie auch auf akustischen Instrumenten funktionieren könnte. Aber genug der Vergleiche. Denn bei all den Klischees der längst verblichenen Hitparaden-Mitläufer und Trittbrettfahrer ist Orbital der Trüffel, der geschliffene Diamant. "Wonky" ist der beste Beweis.

Dienstag, 15. Mai 2012

Krachiger Dreizack: Wie Prong nach über 20 Jahren die Musikwelt immer noch durchschüttelt


Es war ein diesiger Sommernachmittag 1992 auf der Leipziger Gorkistraße. Leipzig-Schönefeld. Hübsche Gegend, die damals wie heute etwas herunter gekommen schien und scheint. 1992 war aber alles im Boom begriffen. Fette Zeiten für Leipzig. Und auch für mich. Denn ich erwarb in einem winzigen Plattenladen eine LP. "Prove you wrong" stand da drauf.

1992 war das Jahr als ich bereits ein Jahr als Azubi in einem Betrieb jobbte. Die äußeren Spuren eines Neo-Nazi-Überfalls zum 3. Oktober 1991 waren äußerlich verschwunden. Ich konnte wieder sorglos auf Baustellen herumtrampeln und nasse Tapeten an die Wände klatschen. Ich kaufte auch fleißig Heavy-Metal-Alben. Vor zwanzig Jahren gab es die noch regulär als Vinyl. Also kaufte ich Vinyl, obwohl mein Plattenspieler fürchterlich war. So kaufte ich auch die neueste Scheibe von den New Yorker Krachmachern von Prong als große schwarze Vinylscheibe. Die erschien zwar schon im September 1991. So lange rang ich mit der Entscheidung, weil ich als Death-Metal-Fan nicht auswimpen wollte - also abschmieren. Ich mochte aber diesen kalten Ostküstensound, der so heterogen auf die Ohrmuschis eines 18-jährigen Freundes stampfender Klänge Eindruck schindete.

Anthrax, Overkill, Biohazard, Carnivore, Life of Agony, S.O.D. und eben Type O Negative machten für mich den Sound von New York aus. Nicht der Sound aus dem Film "Fame". Ganz anders eben als der bunte Westküstensound der Bay Area. Oder der dumpfe Florida-Death-Metal-Sound, oder die klirrenden Kassettenrekorder-Aufnahmen aus Norwegen. Deutschland bot ja 1992 nicht viel an Stoff. Bei Prongs Musik stellte ich mir "Fame" sei Dank immer kalte Luft und Gullydeckel und Klimaanlagen vor, aus denen es immerfort dampfte. Die Typen trugen in meiner Vorstellung immer die komischen Wollmützen, Lederjacken, Strumpfhosen, Wollsocken und Boots. Proberäume in stinkigen Kellerlöchern alter Industriegebäude, billiges Bier, noch billiger Schnaps und hässliche Typen, die sicher nicht mal im Puff eine Frau abkriegen würden. Das war Prong. "Prove you wrong" war 1992 ihr Statement zu dem abgefuckten Leben. Abgehackte Stakkato-Attacken wie "Unconditional" unterstrichen die Botschaften aus den Slums, wo man noch illegal recht gut leben konnte. Ein Traum. Komplette Gesellschaftsflucht.

Prong besaß sogar den Mut wie fast zur selben Zeit die Schweizer Metal-Tüftler von Coroner, eine Band zu covern, die rein gar nichts mit Metal zu tun hatte. War es bei den Drei von Coroner The Beatles mit ihrem Wahnsinns-Stück "I want you", so besaßen Tommy Victory, Troy Gregory und Ted Parsons die sympathische Frechheit The Stranglers nachzuspielen - und wie! "Prove you wrong" war das Album überhaupt, das mich als Teenager prägte. Danach konnte nur alles anders werden. Mit dem 1994 erschienenen "Cleansing" langweilte die Band mich jedoch. Sie wurde eingängiger. Ein Schritt, der der Band nicht nur gut tat wie es sich später herausstellte. Aber in den Billboard-Charts konnte man damit landen. "Scorpio Rising" bekam ich schon gar nicht mehr mit.

Doch als "Power of the damager" 2007 erschien, packte mich der New Yorker Dreizack erneut am Schlafittchen. Denn nichts anderes heißt "Prong". Hymnen über Hymnen. Das Triumvirat aus schweren Gitarrenriffs, stumpfem Beat und heiserem Gesang brachten Erinnerungen zurück. Zurückblickend erscheint "Prove you wrong" als experimentellstes Werk der drei Krachmacher, die in der Metalszene so anders sind. Keine Klischees, keine Anbiedereien, keine Nachäfferei. Nur die glasklare Ansage, aus den Stilübungen des Industrial, Hardcore Punk und Heavy Metal das ätzendste Gebräu zu mischen, das man je wahrnehmen kann. Ohne Umschweife auf den Punkt. So auch "Carved into stone". Ein bisschen weniger stumpf auf CD gegossen, differenzierter im klanglichen Erscheinungsbild aber genauso heavy wie die Glanztaten aus den späten Achtzigern und frühen Neunzigern. Schon der Einstieg "Eternal Heat" läuft so manchem Pantera-Klassiker den Rang ab und lässt die deutschen Ruhrpott-Thrasher von Kreator, Sodom & Co. ziemlich alt aussehen. So schreibt man knackige Songs, die sich nicht im Kreis drehen und wie eine Kopie von einem selbst klingen.

Während aber "Power of the damager" vor fünf Jahren noch nicht aus dem Knick kam, gelingt es dem Dreier auf "Carved Into Stone" leichtfüßigere Hassbatzen zu schreiben. Die elf Titel eint der wundervolle Sound, der von Steve Evetts geschaffen wurde. Er war auch für das Klangbild von Dillinger Escape Plan und Every Time I Die verantwortlich. Nicht nur in punkto Sound besinnt sich Prong auf alte Stärken. Die Art wie das Trio seine Lieder schreibt erinnert wieder an das, was Prong vor zwanzig Jahren ausmachte: Sperrige Hits mit wenig Einfühlungsvermögen. Hier regiert der eiserne Handkantenschlag eines wütenden Polizisten, der einen Junkie verkloppt. Oder als ob jemand eine brennende Metalltonne eine New Yorker Straße herunter kullern lässt, hinter der ein paar frierende Penner laufen und wie blöd durcheinander brüllen. Mit "Revenge" gelingt Tommy Victor sogar ein waschechter Hit, der ganz in der Manier von "Prove you wrong" und "Cleansing" stehen könnte. Genauso geht es auch "State of Rebellion".

Die Schallplatte, die ich vor zwanzig Jahren in der Leipziger Gorkistraße erwarb, habe ich aber inzwischen nicht mehr. "Carved Into Stone" kaufte ich anders als "Prove you wrong" in keinem Laden. Die bekam ich von der Plattenfirma als digitales Geschenk, damit ich mir ein paar Zeilen darüber ausdenke. Ich schwöre hoch und heilig, dass alles das, was ich hier schrieb, der Wahrheit entspricht. "Carved Into Stone" könnte neben den neuen Platten von Ministry und Fear Factory mein kleiner Ausflug in die metallischen Gefilde des turbulenten Jahres 2012 sein. Ob es mich aber prägt, wage ich mal zu verneinen. So bedeutsam ist Musik im Alter von 38 nicht mehr. Aber ein Anflug von einem wohligen Schauer überkommt mich immer noch beim Hören dieser Dreiviertelstunde aus lauter druckvollen Ohrwürmern.

Montag, 7. Februar 2011

Durch den Sommer mit Gary Moore

Bis 1989 wusste ich nicht einmal, wer Gary Moore überhaupt gewesen war. Erst durch Freunde erfuhr ich, dass er einer der besten Hardrockgitarristen sei, weswegen man unbedingt den Mann zumindest spielen hören sollte. Dann die Freude darüber, dass seine damals aktuelle Scheibe "After The War" im Radio komplett gespielt werden sollte.  Also ran an den alten Kassettenrecorder, einem schwarzen Nachfolger des RFT Sternrecorder R 160. Den bekam ich von meinem älteren Bruder geschenkt, als er sich eine Stereoanlage für 6.000 Mark kaufte. 


Mit ORWO-Kassetten sprang ich also zum Recorder und nahm in Monoqualität die komplette Platte auf. Ich war damals ziemlich begeistert mit 14 Jahren und hab wild meine länger werdenden Haare geschüttelt zu den wilden Soli und Rhythmen, die so mitreißend geschrieben waren, dass ich sogar die langweiligeren Helloween-Scheiben links stehen  ließ. 


"After The War", ist die letzte Hardrockscheibe von Gary Moore gewesen, bevor er mit "Still Got The Blues" eines für mich verwirrendes Album veröffentlichte. Meine Schwester mochte das auf einmal. Also war der Gitarrenheld für mich abgeschrieben. Bis zuletzt. Zwar hatte ich mich eingehender mit seinen Solowerken in den Achtzigern beschäftigt, die zwischen seichtem Schmus a la "Empty Rooms" und melodiösem Rock pendelten, nie aber die Klasse und Reife von "After The War" erreichten - für mich persönlich natürlich. Mit Thin Lizzy beschäftigte ich mich auch, die ich als sonderbar empfand, weil der Sänger Phil Lynott stets sagte, er sei Ire, aber aussah wie ein marokkanischer Gemüsehändler und offenbar die alten irischen Volksweisen mochte. 


Gewusst hatte ich auch damals nicht, dass auf "After The War" die gesamte Riege der damaligen Hardrockwelt zu hören ist: Cozy Powell an den Trommeln, der zu diesem Zeitpunkt bei Black Sabbath spielte,  dann der ex-Ozzy Osbourne-Basser Bob Daisley und ex-Ozzy-Tastendrücker Don Airey und Ozzy Osbourne himself bei dem Track "Led Clones", wo er und Moore über Bands wie Kingdome Come und Whitesnake herziehen, die nur optisch und hörbar Led Zeppelin kopierten. Das macht eben "After The War" ach so besonders. Neil Carter von U.F.O. hatte auf der 1988er Scheibe für ein paar Töne gesorgt, Jazz-Bassist John Graham ist hier zu hören, Schlagzeuger Charlie Morgan (Tina Turner, Elton John, Paul Mc Cartney u.a.) trommelte auf "After The War" wie Simon Philipps (Judas Priest, Mike Rutherford, The Who, Toto, Mike Oldfield), Chris Thompson von der Manfred Mann's Earth Band spielte hier die Sechssaitige, Andrew Eldritch von den Sisters Of Mercy lieh bei den Tracks "After the War", "Speak for Yourself" and "Blood of Emeralds" seine Stimme. Sam Brown (Hit "Stop!") hatte bei "Ready For Love" ihre Kehle zum Klingen gebracht wie die hierzulande unbekannte Sängerin Miriam Stockley.


"After The War" ist für mich der Soundtrack für den Sommer 1989 gewesen, bis 1990 hinein, bis ebenjenes "Still Got The Blues" veröffentlicht wurde. Hört man einfach mal neben den dem Titeltrack auch das schwere Riffing bei "Speak For Yourself" und "Running For The Storm", dann weiß man, wie packend Hardrock geschrieben und gespielt werden kann. Verwirrend für mich, dass dieses Werk nie als Referenz für Gary Moor's Schaffen heran gezogen wird, stattdessen die seichteren und unschlüssigeren  "Wild Frontier" und "Run For Cover" zitiert werden.


Verwirrender für mich ist aber der Fakt, dass ich bis heute es nie schaffte, das Thin Lizzy-Spätwerk "Black Rose" zu hören, worauf Gary Moore die Saiten schrubbte. Auch sein Erstlingswerk "Grinding Stone" sowie Skid Row sind mir nicht bekannt. Mit letzterer setzte ich immer die amerikanischen Schmuserocker um Sebastian Bach gleich, die mit "18 in Life" in den Charts 1989 geisterten. Interessant hier ist, dass Gary Moore kein großes Aufhebens machte um die Verwendung des Bandnamens seiner ersten Band aus den Siebzigern. Dann der Zwergenaufstand ein paar deutsche Spießer 2008, die früher mal eine Krautrockband hatten, die heute keiner mehr kennt. Gary Moore solle Urheberrechte verletzt haben, indem er eine Idee "geklaut" haben soll. Komisch und geschmäcklerisch hierbei ist eigentlich nur, dass es den wohl früher zugedröhnten Krautrockern jahrzehntelang nicht aufgefallen ist, dass jemand etwas spielt, dass zufälligerweise genauso klingt wie "ihr" Lied. Wohlmöglich haben die "Krautrocker" auch nur aus irgendeinem Fundus von Bluesstandards entlehnt, aber darüber redet niemand. Aber Gary Moore ans Bein pinkeln, vielleicht im Glauben, man könne seine eigene Rente aufbessern. Nun kann man an dieser Stelle wirklich darüber nachdenken, wer wirklich etwas geleistet hatte: eine unbekannte Krautrockband oder eben Gary Moore, der mit seinem mitreißendem Spiel Horden an künftigen Musikern an die Gitarren trieb. 


Die Nachricht, dass der Ausnahmegitarrist jäh verstarb, hat mich trotz meines Desinteresses an sein Werk doch mitgenommen. Auch wen mich Moore's Spiel nicht an die Gitarre trieb, ich mehr oder weniger nur an "After The War" interessiert bin, bedeutete dieser Mann und seine Gitarre ziemlich viel. Und das geht sicher auch vielen anderen so, wenn sie seine Werke hören und besonders Moore's Spiel bewundern.

Sonntag, 7. November 2010

Alexisonfire: Dog's Blood EP

Alexisonfire spielen Hardcore Punk. Melodisch ist es und hart. Vergangenes Jahr haben sie mit "Old Crows, Young Cardinals" ein Hitalbum abgeliefert, der sie gleich auf große Tourneen katapultierte und gute Kritiken bei den Rezensenten bescherte. Nun ein kleines Lebenszeichen in Form einer Vier-Track-EP mit dem Titel "Dog's Blood".


Die Band baut ihre aggressiven Hymnen weiter aus, spielt weiter mit stimmungsvollen Gitarrenklängen aus dem Hintergrund, die sehnsüchtig vor sich hin jauchzen und die Richtung unterstreichen, bei Alexisonfire ginge es um mehr als nur Hardcore Punk in seiner Reinform herunter zu holzen. Mit wesentlich mehr epischen Glanzpunkten versucht sich Alexisonfire von der Masse abzuheben, baut auf Atmosphäre und Verzweiflung. Auf knapp über zwanzig Minuten hinterlassen Alexisonfire einen bleibenden Eindruck, der sich hören lassen kann. Mit wesentlich mehr Dreck unter den Fingernägeln atmet die EP auch wesentlich mehr Feuer und Leidenschaft als ihr großer Vorgänger mit dem Finken auf dem Cover. 


Dagegen sieht man auf "Dog's Blood" ein typisches Achtziger Hardcore-Punk/Metal-Cover - bunt, plakativ und irgendwie Horror. Mit dieser Mischung aus schrägem Godzilla-Flair und klassischem Hardcore Punk erschreckt die Kapelle nicht ihre Fans mit mittelmäßigen Fürzen aus dem Off wie GWAR, sondern hat das gewisse Etwas. "Dog's Blood" ist keine rührige Ansammlung übrig gebliebener Tracks, sondern ein kräftiger Arschtritt in Richtung ganz oben, ... auch wenn die Band dabei ein wenig traurig dabei schaut. Spaß macht's aber denen dabei zu zusehen. 


Album: Dog's Blood EP
VÖ: November 2010
Label: Roadrunner Records

Cradle Of Filth: Darkly, Darkly Venus Aversa

Um mit der Tür ins Haus zu fallen: der Albumtitel ist viehisch. Versaut und dreckig geht's in den Texten von der englischen Drecksau-Truppe um Dani Flith (zu deutsch "Dreck") zu. Das war schon beim ersten Album vor knapp 17 Jahren so, und wird auch immer so bleiben. Nur dass inzwischen Dani Filth aussieht wie ein gnomiger Sweeny Todd, statt eines echten Metal-Shouters.


"Darkly, darkly Venus Aversa" reimt schon beschwörerisch die Vorzüge viktorianischen Analverkehrs, preist aber auch als "Konzeptalbum" die Vorzüge von Lilith, des biblischen Adam erste Frau und Königin der Succubi. Also jenen Traumwesen, die Single-Männer heimsucht und feuchte Träume und eine stämmige Morgenlatte beschert. Das ist alles bestimmt sehr schön, wenn man sich in die feuchten und nassen Babytage zurückfühlen möchte - mit viel Latex um den Unterleib geschnürt. Viel neues hat also Dani Filth und seine schweinische Truppe nicht für ihre Fans, außer dass Cradle Of Filth wieder schweißtreibende Metalstücke für ihre Anhänger bereit halten, weniger erdig und charaktervoll wie auf den grandiosen ersten beiden Scheiben plus EP "Phallusstein". Wie's halt bei Engländern üblich, variiert man lediglich seinen Sound, das kennt man schon von Motörhead, Judas Priest & Co. 


Metal-Fanzines feiern gehörig ab, holen sich einen runter angesichts der leicht nach oben schlagenden Zacke einer steil nach unten zeigenden Erfolgskurve von Cradle Of Filth. "Darkly Darkly Venus Aversa" ist aber weniger sexy als der Albumtitel verspricht. Viel eher klingt die Scheibe nach Schmerz und Qualen, ... etwas das Analverkehr sicher auch bereiten kann, Lilith vielleicht auch. Die Scheibe kommt noch als Digi-Pack mit ein paar Extra-Tracks daher. 


Album: Darkly, darkly Venus Aversa
VÖ: Bereits erschienen
Label: Peaceville

Sonntag, 19. September 2010

Venom: Eine kleine Nachtmusik



Das erste Live-Album in der bis dato geschriebenen Geschichte der drei Rabauken von Venom erschien 1986. Es wurde u.a. auch im damaligen Ostblock veröffentlicht, wo v.a. die polnische Pressung ziemlich nah der gold umhüllten Originalpressung heran kam. 

Wie war das doch gleich mit "ehret dem erst erworbenen Album ever"? Heute beiße ich mir in den Allerwertesten, gerade dieses - kurz vor der Wende 1989 in der CSSR erworbenes - Doppelalbum verscherbelt zu haben, mangels an Interesses. Denn nach unzähligem Abspielen kratzte es schon arg im Vinyl und der Sound war trotz der fetten Vinyls nicht mehr so astrein. In den Neunzigern erschien eine CD-Pressung im roten Cover, die ebenfalls irgendwie verloren ging. Nun wurde in den letzten Jahren wieder eine CD-Wiederveröffentlichung rausgeballert, die das alte Cover von "Eine Kleine Nachtmusik" wieder aufnimmt und zudem noch komplett remastered wurde. 


Und der hier vertretene Sound kann es wieder mit dem alten Vinylsound aufnehmen. Die warme Live-Atmosphäre (sofern sie noch durch die Over-Dubs durchdringt) der einzelnen Songs klingt wieder durch. Aber das Album krankt an seiner zusammengeschnittenen Art. Es wurde (wie schon beim Original) leider kein komplettes Konzert aufgenommen und vermarktet, sondern zwei Gigs im Hammersmith Odeon (London) und Ritz (New York) zusammen geworfen und die Songs ein- und ausgeblendet. Unglücklicherweise. So entpuppt sich der Zusammenschnitt leider zu einer reinen Live-Compilation, die aber wiederum interessanterweise zwei verschiedene Sounds fährt. 

Wo die Odeon-Mitschnitte irgendwie sauberer klingen, so knarzen die Songs vom Ritz-Gig in N.Y. räudig durch die Boxen. Wieviel davon im Studio nach gespielt wurde, weiß das Trio Infernale nur selbst. Aber es ist bekannt, dass Venom um 1985 / 86 in keiner guten spielerischen Verfassung waren, so dass hier ein goldsüchtiges Best-Of kreiert wurde. Macht nichts, "Eine Kleine Nachtmusik" ist trotzdem ein prima Überblick über die Schaffensperiode von Venom in der klassischen Konstellation. Neben den üblichen Songs (wovon der Hammersmith-"Gig" ein Highlight ist) gibt es noch zwei Soli der Protagonisten Cronos und Mantas zu bestaunen. Bloß gut, dass uns die Drei mit einem Drum-Solo verschont haben, denn die Tempi-Schwierigkeiten von Abaddon sind unüberhörbar. 

Schick auch, dass das Re-Release die Innersleeves des Originals aufnimmt und das Ganze mit Liner-Notes versieht. Kult ist das Posing der Drei, wo Cronos mit Zylinder und fetter Zigarre ziemlich cool rüberkommt. Er ist sowieso die coolste Sau im Metal-Universum. Und die hässlichste zugleich. Und er versucht bei "The Chanting Of The Priests" zu singen. Der Song wurde dann ohne Mantas auf dem unterirdischen "Calm Before The Storm" als Studiotrack veröffentlicht. Der Song hat zwar Potenzial, aber man merkt, dass die Metalpunks von Venom spielerischen Anspruch erheben wollen und das klappt weder in der klassischen Konstellation, noch in jeder anderen Besetzung. So haftet dem Namen Venom immer etwas Pech an. Schade eigentlich, denn als eine der Vorreiter des NWOBHM hätten sie es wie Iron Maiden, Saxon und Def Leppard schaffen können. Aber als Zitatgeber eines damals ganz neuen Genres (Black Metal) gelten sie ja noch immer. Und das kann ihnen keiner nehmen.

Eine kleine Randbemerkung gibt es noch; das nachträglich im Studio eingespielte Sample des Intros stammt von Antonio Vivaldi und nicht wie der Album-Titel suggeriert von Wolfgang Amadeus Mozart. Und noch was; die Songs bieten einen Querschnitt des Schaffens, angefangen von "Welcome To Hell" bis hin zu "Possessed". Zusammen mit dem damals gleichzeitig erschienenen "Hell At Hammersmith"-Video rundet sich aber das Bild der damaligen Venom sauber ab und darf demnach in keiner gut sortierten Venom-Sammlung fehlen.

Stahlblaue Schwingen (1)

Iron Maiden: Live After Death, 1985, Coverdesign by Derek Riggs (Copyright/derek.server311.com)


1988 war's, als F. einen Blechknopf an der Jeansjacke von D. vorfand. Darauf war ein klitzekleines Monster abgebildet, ultramarinblau, umzuckt von weißen und gelben Blitzen. Darüber ein unleserlicher Schriftzug. "Iron Maiden", erklärte D. "Was ist das?", entgegnete F. "Eine Band", setzte D. nach. "Kenne ich nicht. Was für Musik machen die?", fragte F. erneut. "Heavy Metal - bestimmt nichts für dich. - Hör mal, Du kannst aber gut zeichnen. Würdest Du mir dieses Bild vergrößern und abzeichnen?" - "Das habe ich noch nie gemacht, ich kann es aber versuchen."


Die Stundenklingel beginnt zu bimmeln, die Schüler huschen zurück an ihre Bänke. D. ist der beliebteste Schüler, der coolste der Klasse. Er hat Westklamotten an, Jeans, fetzige Shirts. Jeans mit Heavy Metal-Monstern dran. Bei den Mädchen kam er gut an, wegen seines guten Aussehens, zumindest glaubte er das. F. hingegen war ein unscheinbares Würstchen, mit zu großer Brille, Haaren, die völlig verwirbelt waren und ihm ständig ins Gesicht fielen, erste Pickel sprossen. F. war klein, schmächtig, naiv und blass. Heavy Metal, fragte F. sich. Wie mag das klingen? Warum wird auf diese Musik so ein hoher Stellenwert gelegt? 

In der DDR-Plattenbauschule, die an der heutigen Prager Straße, damals noch Leninstraße und ein belebter Ort mit vielen Läden und Ruinen war und heute eine Durchfahrstrecke mit Bürogebäuden ist, in Leipzig liegt, nun seit der Nachwendezeit für körperlich und geistig behinderte Menschen umgebaut ist, war kaum Freiraum sich zu entfalten. Im Sommer heizten sich die Betonplatten auf, im Winter war es oft kalt. F. und D.'s Klasse fand sich zum ersten Mal bei der Einschulung 1981 zusammen, schrumpfte zusehends. Neue Schüler kamen und gingen, und jeder bewunderte F.'s Zeichenkünste. "Mal dies, mal das", hieß es bei den Mitschülern. Oft versammelten sich ein paar um meine Schulbank und schauten ihm beim Zeichnen zu. Meist Rallye-Jagden und lodernde Ritterburgen. F. hat mit Zeichnen seine Kindheit gekillt. Nun passt Heavy Metal sich langsam in sein Leben an. Iron Maiden ist die erste Band, die er durch Fotos und ausgeschnittenen Bravo-Artikeln kennen lernte. 1988 das letzte Jahr, bevor die DDR sich leise verabschiedete. Die Ruhe vor dem Sturm, erstaunlich ruhige Zeit scheinbar.

Der Sommer 1988 ist F. nicht im Gedächtnis geblieben. Nur dass er während der Sommerferien in die Sowjetunion zum Ferienlager reisen durfte. Südlich von Kiew lag der Ort, in einem Kiefernwald stand ein Nobelhotel. Die letzten Wochen als Thälmannpionier. Noch keine 14 Jahre alt, erst 13. Die erste Reise, die ihn längere Zeit und am weitesten von seinem Zuhause in der Stiftsstraße führte. Mehrere Tage Zugfahrt, Heimweh. Seine Mutter hatte extra für die Reise einen schwarzen Jeansanzug gekauft, dass er cool aussehe. 

Aledebaran am Himmel, der rot seine Fahrt begleitete. Von Leipzig ging's nach Berlin. Von dort nach Frankfurt (Oder). Schon damals schmückte auf der Rückseite seines Personalausweises ein buntes Bild von den Scorpions, wie sie live on stage Posen veranstalteten, in zu engen Gymnastikhosen, blitzenden Gitarren, Lederjacken und abenteuerlichen Frisuren. Die Band galt wohl schon damals als Perestroika-Band, jedenfalls bewunderte der sowjetische Grenzoffizier das Bild, mahnte F. aber an, das bitte aus dem Dokument zu entfernen, weil man sonst sein Land nicht achten würde. 

F. verstand, und zog es aus der Hülle ehraus. Das Bild war inzwischen schon leicht fest geklebt, wodurch einige Fetzen im Ausweis hängen blieben. Dann nickte der Offizier zufrieden und stempelte den Pass ab. An der polnisch-sowjetischen Grenze mussten die Kinder und Jugendlichen umsteigen. Jedenfalls fand sich die Reisegruppe aus verschiedensten Jugendlichen und Kindern der DDR in großen und geräumigen Waggons der sowjetischen Staatsbahn wieder. Schlafwaggons, für vier ausgestattet, breite Gänge, großer Speisewagen, wo es nach Zigarettenrauch und Essen roch. Von der polnischen Grenze nach Kiew vergingen noch über 24 Stunden Fahrt. Quer durch nicht zu enden wollende Sonnenblumenfelder, dann durch ewige Birkenwälder. Getreidefelder so weit das Auge reichte. Dimensionen, die die junge Reisegruppe so aus ihren Großstadtkinderaugen nicht erfassen konnten. Eine dicke Frau rollte einen Teewagen durch die Gänge - kostenloser Tee in Teegläsern. Soviel man trinken konnte. Staatsbahnservice. Nachts strahlte Aldebaran vom Himmel, tagsüber die Sonne. 

Während ihres Aufenthaltes in dem Nobelhotel wird F. erwachsen. Oder er nähert sich einem körperlichen Zustand des Erwachsenseins. Damit einher geht auch ein wachsendes Interesse an dem was D. "Heavy Metal" damals im Klassenzimmer nannte. 

Im Ferienlager lernt F. einen Gefährten kennen, der F. was über Metal erzählte. W.A.S.P. wären die kontroversesten gewesen, wegen ihren spektakulären Bühnenshows. "Blind In Texas", ihre Macho-Hymne schießt ihm assoziativ heute noch in das Gedächtnis, wenn er an Blackie Lawless und den Beschreibungen dieses Kameraden nachverfolgen versucht, der schildert, dass Lawless mit Pferdehaarperücke, Blut und Sägeblatt im Schritt Männer wie Frauen beeindruckte. Doch es ginge auch härter. Hauptsächlich fiel der Name "Slayer", aber auch andere Bands waren darunter. Er sei noch am Anfang meiner Entdeckungsreise des Heavy Metal, meinte er, als er F.'s Erzählungen über Iron Maiden n der Bravo und Scorpions vernahm. Damals mochte F. auch Pet Shop Boys und Depeche Mode sehr gerne. Merkte aber bald, dass das vorwiegend Mädchen hörten und distanzierte sich schnell genug, bevor es peinlich wurde. Doch Popmusik fesselte ihn damals mehr. Auch wenn es nur die Suche nach etwas Anspruch war, der ihn beschäftigte. Musik als Lebensinhalt, das kannte F. vor seinem 13. Lebensjahr noch nicht. 

Was F. bis dahin auch nicht kannte, ist dass Mädchen erotisch sind, wenn sie in Nachthemden den Gang hinunter zu den Waschräumen laufen. Unter ihren weißen Rüschenhemden zeichnen sich die Nippel ihre anschwellenden Brüste an. Und was F. bis dato nicht kannte, dass man seinen Körper zu beherrschen lernen muss. Aber nachgeben war auch schön. In diesem sauberen Hotel mit seinen sterilen Zweibettzimmern, den Balkonen mit Blick auf Kiefernwipfeln - das Lager lag inmitten eines Kiefernwaldes - , seinen Fahrstühlen, den damals hochmodernen Innentoiletten und Duschen muss F. mindestens hundertmal seinen Samenergüssen erlegen sein. 

Mit 14 Jahren wird man dann auf das sozialistische Arbeitsleben vorbereitet. Zuerst FDJ, dann Einführung in die sozialistische Produktion, Produktives Arbeiten, GST. In den Unterrichtspausen ringen sich neugierige Gesichter um einen Schultisch, Bravo-Hefte blättern. Die oft abgegriffenen Seiten dieses westdeutschen Jugendmagazins zeigten uns eine andere Welt, die bunter und interessanter ist als der graue Schulalltag von 6 Uhr morgens aufstehen, mit dem Linienbus A zum "Produktiven Arbeiten" zu schaukeln, um in der Nähe der Pferderennbahn Scheibenholz Leiterplatten für Blindenklingeln zu löten oder Flaschenöffner zu feilen. Ausschuss produzieren. 

Der Sinn nach Sex, Mädchen und Musik steht den jungen Mädchen mit ihren schlecht geschminkten Gesichtern, den bunten Glitzertüchern um ihren Hälsen und den schmuddeligen und ungewaschenen Jungs schon ins Gesicht geschrieben, wenn sie müde aus den Augen schauen, sich den Schlafsand aus den Klüsen reiben, müde zur Arbeit schlurfen und sich vor allem auf den frühen Feierabend freuen, der nach dem Mittagessen auf sie wartet. Dann schnell nach Hause, Radio anschalten, Comics lesen, Milch trinken und Kekse essen. Zumindest sieht so der Tagesablauf von F. aus. Sportlich war F. nicht und ist es heute auch nicht. Doch beim Hören der Charts auf irgendeinem westdeutschen Sender, meist RIAS Berlin, schnappt F. sich Papier und Stifte, und zeichnet spontan ein krakeliges Monster aus dem Gedächtnis, das ihm D. mit seinem Button zeigte. I-R-O-N-M-A-I-D-E-N, malt F. langsam auf. Was mag das wohl heißen?