Samstag, 28. November 2009

Flagge gezeigt: Mit Iron Maiden in die Wende gerutscht

Es war meine letzte Reise in ein Kinderferienlager. Damit begann alles. In der damaligen Tschechoslowakei entdeckte ich 1989 die Liebe, den Rausch und Heavy Metal. Letzteres lernte ich durch vielerlei Umstände kennen. Da waren Funktionäre, Freunde und Feindbilder, die meinen Weg kreuzten.


Natürlich kann ich nicht mehr wiedergeben, wie alle Protagonisten von damals heißen. Auch der Ort verschwimmt in meinem inneren Auge zu einer namenlosen Anhöhe in einem böhmischen Gebirgsmassiv, das nur wenige Fahrtstunden von der Schneekoppe entfernt liegt. Dort in dem von einem Kiefernforst umrahmten Anstieg befanden sich hölzerne Bungalows und im Tal ein Gemeinschaftshaus, wo wir Kinder und Jugendliche zur Disco gingen und unsere Mahlzeiten einnahmen. Damals war ich gerade 14 Jahre alt. Mitten in der Pubertät und auf der Suche nach etwas eigenem. Und einem Mädchen.


Heavy Metal war da nur zweitrangig. Ich malte und male heute immer noch gerne. Damals waren es die Konterfeibilder vom Iron Maiden-Maskottchen „Eddie“. Weil ich schon eine gewisse Zeit Übung besaß, ihn möglichst originalgetreu nachzuzeichnen, bekam ich auch den Spitznamen „Eddie“ zugeschrieben. So stellte ich mich auch neuen Kumpels vor. Auch wenn ich nur wenig von dieser Musik gehört hatte und damals Queen oder Bon Jovi das härteste meiner Empfindung nach war, identifizierte ich mich mit Heavy Metal. Warum? Viele der im Ferienlager anwesenden Jugendlichen mochten diese Musik, bewunderten meine Fähigkeit das Maiden-Monster zeichnen zu können. Nun waren es die Kumpels im Lager, die mir die Klänge von AC/DC und Slayer nahe brachten und zeigten wie man wie Angus Young auf den Schultern seines Kumpels reitet. „Das beeindruckt die Mädels“, steckte mir der jüngere Fan aus Aue, der der größte AC/DC – Fan aller Zeiten war und am coolsten abhotten konnte.


Eines Tages war es soweit. Wir gingen mit unserer Gruppe in ein Nachbardorf und separierten uns von den anderen. Mir kam das alles abenteuerlich vor. Letztlich war ich auch neugierig und fand das aufregend. Wir standen vor dem Plattengeschäft im verschlafenen Dorfzentrum, den Kopf voll mit Federweißer, den wir vorher getrunken hatten. In der Verkaufsauslage sah ich das damals noch aktuelle AC/DC-Album „Blow Up Your Video“. Dort sprang Angus Young aus dem Fernseher und machte klar, dass TV kein Rock'n'Roll ist. Wir stehen da so eine Weile herum, als ein vollbärtiger und langhaariger Mann auf uns zu kam und uns auf englisch, tschechisch und deutsch ansprach. Wir sollten mit zu ihn nach Hause kommen, da würden uns echte Schätze erwarten. Wir waren verunsichert und unsere Bedenken waren schnell ausgeräumt. Waren wir doch fünf oder sechs Leute, während er nur einer war.


In seinem Wohnzimmer lagen auf dem sonnenbeschienenen Tisch jede Menge Alben ausgebreitet. Darunter auch ein Album von Madonna. Dort befand sich auch eins von Helloween, jener deutschen Metal-Band, die seit 1987 große Erfolge feierte und justament „Keeper Of The Seven Keys Part II“ veröffentlichte. Der freundliche Kerl hatte aber den ersten Teil angeboten und fragte uns, ob wir es kaufen würden. Jemand schnappte sich das Album so flink, dass ich mich ärgerte es nicht abbekommen zu haben. Doch dann sah ich es golden blitzen und zum Vorschein kam „Eine kleine Nachtmusik“ von der britischen New Wave Of British Heavy Metal-Legende Venom. Polnische Pressung, schwer, golden und nahezu original zu dem, was jenseits des eisernen Vorhangs verkauft wurde. Eine echte Rarität, wie es sich später heraus stellen sollte. Ich zog das Album zu mir, klappte das Gatefold auf und sah die coolsten Typen der damaligen Metal-Welt. Zumindest war der langhaarige Mann mit Zylinder und Zigarre krass genug um dem Tschechen zu sagen: „Ja, ich nehme es. Wie viel?“ Ich hatte keine Vorstellung von dem, was mich erwarten würde und verwahrte das Doppelalbum bis zu meiner Ankunft in Leipzig auf. Indessen hörten wir AC/DC bei den Discos und Queen.
Bei diesen Gruppen lernte ich, wie man Luftgitarre spielt, headbangt und herum post. Natürlich macht man das nur, um Mädchen zu beeindrucken. Weniger beeindruckend war es, nach der Action zu einem Mädchen hin zu gehen und es anzusprechen. Warum? Bei diesem kindischen Ausdauersport im Diskosaal habe ich nach Schweiß gerochen, stand verschwitzt vor einer Gruppe hübscher junger Frauen und holte mir eine Abfuhr. Es muss fürchterlich für sie gewesen sein, als plötzlich ein adoleszenter Jüngling mit rotem Gesicht, röteren Pickeln und verschwitztem halblangen Haar und durchnässtem Shirt vor ihnen stand und unbeholfen stammelt: „W-w-w-willst Du mit mir tanzen?“


Metal äußerte sich während dieses Aufenthaltes auch anders. Nicht nur anerkennend, als ich zu der Venom-Scheibe auch noch die aktuelle AC/DC kaufte. Taschengeld hatte ich genug. Eines Tages fragte mich doch ein Berliner Kumpel, ob ich sein mitgebrachtes Bettlaken mit dem Eddie-Monster von Iron Maiden bemalen könnte und zeigte auf meine Filzstifte und legte noch ein paar dazu. Er besorgte noch ein paar von den Kindern, die das auch irgendwie gut fanden. Oder auch nicht. Der Berliner legte eine aktuelle Bravo auf den kleinen Sprelakart-Tisch, worin Iron Maiden mit eine rgroßen Geschichte angekündigt waren und auch das einfallsreiche Artwork gezeigt wurde. Ich legte los und ahmte das Motiv nach, das Iron Maiden für die damalige Single „Can I Play With Madness“ verwendet hatten. Es zeigt den Kopf von Eddie, dessen Schädelkalotte aufgebrochen war und von unsichtbarer Hand ausgelöffelt wurde und Flammen heraus stiegen. Wie bei einem flambierten Omelett.


Was machen Jungs, wenn sie nichts zu tun haben? Richtig. Unsinn. Die drei weißen Fahnenmasten lockten nahezu, die neue Flagge – das Iron Maiden-Tischtuch – hoch zu hieven. Nur gab es drei Probleme: jeder der drei Masten war besetzt. Dort flatterten die damalige tschechoslowakische Fahne, die Flagge der DDR und die der FDJ.


Wir berieten uns nur kurz und entschieden, dass die FDJ-Flagge runter muss, um die Iron Maiden-Flagge hoch zu leiern. Das taten wir auch. Schnell, schnell. Das darf keiner sehen. Zuvor mussten wir die FDJ-Flagge runterholen. Denn eine der beiden Staatsflaggen runter zu nehmen, wäre fast schon Landesverrat gewesen oder irgendwie kriminell. FDJ eben nicht. Kaum hatten wir die Iron Maiden-Flagge nach oben gebracht, kommt eine FDJ-Delegation angestiefelt. Zu Besuch. Wohin sie des Weges waren? Balaton.


Sie kamen sich rege unterhaltend die Anhöhe hoch, sahen den Frevel und erstarrten. Zugleich kam unser Ferienbetreuer und stellte uns zur Rede. Wir sollten unsere Fahne wieder herunter lassen. Was fiele uns denn ein und überhaupt. Er machte Anstalten, das flatternde Übel herunter zu holen, wobei wir ihn zu hindern versuchten. Ich sprang lachend auf seinen Rücken, versuchte ihn zu kitzeln, während die anderen ihm das bemalte Laken entwenden sollten. Das misslang. Er war einfach zu kräftig und zu wendig für uns Hänflinge. Wir wurden verbal zusammen gestaucht, Rückfahrkarte wurde auch angeboten.


Wir folgten und stapften zu unseren Bungalows, bis wir heraus gerufen werden sollten. Ungefähr eine halbe Stunde später war es dann soweit. Wir mussten zum Versammlungshaus. Dahinter hatte die FDJ-Delegation einen Scheiterhaufen aufgeschichtet und zum brennen gebracht. Über den knisternden Flammen brieten sie lachend auf Stöcken aufgespießte Krakauer. Wir sollten uns auch bedienen und mitmachen. Mein Betreuer meinte, ich solle mir den Haufen genauer anschauen. Und siehe da, am Rand kokelte das Laken, worauf das Eddie-Monster noch zur Hälfte griente. Jetzt verstand ich, warum die FDJler lachten. Wahrscheinlich haben sie von den DDR-Flüchtlingen gehört, wie sie nach Österreich flohen. Und so noch die letzten Züge der DDR genossen, mit realem Sozialismus verkokelten sie die jugendliche Nichtigkeit des voran gegangenen Vorfalls, wie Nazis ein Buch verbrannt hätten.









Montag, 23. November 2009

Geschichte schreiben mit Dante's Dream: Episodes wurde veröffentlicht


Neue Sparten, Nischen in der Musik zu finden ist heutzutage nicht ganz einfach. Entweder man hängt sich an den großen schnaufenden Pop-Zug, der durch jede Stadt mit viel Lärm rauscht. Oder eine junge Band setzt sich an einen geheimen Ort und ersinnt etwas ganz eigenes, das einem niemand weg nehmen kann. Man läuft dann auch Gefahr, für immer und ewig ein Nischendasein zu fristen. Aber die Chance ist genauso groß, entdeckt zu werden.


Letzteres könnte natürlich auch auf „Dante's Dream“ zutreffen. Die Leipziger Eclectic Popper haben unlängst ihr Erstlingswerk „Episodes“ veröffentlicht. Anders als andere Gruppen, springen „Dante's Dream“ nicht auf den kunterbunten Trend und versuchen besonders schrill oder laut zu sein. Plakative Posen wird man bei „Dante“ nicht finden. Stattdessen wogen zwölf feinsinnige und dennoch eingängige Stücke durch die Lautsprecherboxen. Vielschichtig stricken und weben die vier Musiker Geschichten , die jeder erleben könnte. Es ist auch so, dass „Dante“ nicht immer leise tönen, sondern auch dramatisch aufwallen können.


So steigt das Album mit friedlichem Froschquaken ein, suggeriert eben die kleine Nische am Ufer eines Teichs, der still und ruhig in der Abendsonne glänzt. Doch mit zunehmender Laufzeit öffnet sich der anfänglich unbeschwerte Blick in die eigenen Gedanken, die man beim Hören von Liedern wie „Supernova“ und „Episodes“ entwickelt. Bis man im letzten Teil des Albums beim dem Stück „Das edle Herz“ aufblickt und gar nicht mehr den kleinen Teich sieht. Man schaut stattdessen in die aufgewühlte Seele des Albums. Die weit ausladende Geste, die manchmal in den einzelnen Stücken aufblitzt, verschwindet zum wahrhaftigen Ausdruck, zur großen Lyrik. In seiner Zurückhaltung sagt „Episodes“ mehr als nur wetteifernd verzerrte Gitarren und brachial geschrieene Ungerechtigkeiten. Bei „Episodes“ geht es vielmehr um das echte Gefühl, und das, was man fühlen könnte sich aber nie zugetraut hat, auszudrücken. Egal ob die Gitarren braten und die Songs überraschende Wendungen gehen.


Mit „Episodes“ haben „Dante's Dream“ ein Album mit großer erzählerischer Kraft eingespielt. Sowohl musikalisch als auch textlich. Dabei vermeiden die Musiker, dass das Album trotz seiner offenen Zugänglichkeit auf die Schnelle konsumiert werden kann. „Dante's Dream“ gelingt es, trotz mancher lauten Momente von „Episodes“ auch die Stille klingen zu lassen.






„Episodes“ ist limitiert auf 1.000 Exemplare, ist aber als MP3-Download bei iTunes und musicload.de erhältlich. Außerdem ist das Album noch in den Geschäften „Ohrakel“, „Klanggarten“, „PhonoCentrum“ und „Whispers“ erhältlich.


Dante's Dream: Episodes, ersch. Eigenvertrieb 2009, aufgenommen 2009 im Studio „Kick The Flame“, Songtitel: 01. Dante's Theme, 02. Supernova, 03. Episodes, 04. Insane, they say, 05. Give In, 06. Satellite, 07. The Queen And The Jester, 08. Prelude, 09. Elegy, 10. In Th eName Of, 11. Dante's Theme (Reprise), 12. Das edle Herz


Dauer: 48 Minuten