Samstag, 26. Dezember 2009

Kein Pantoffelkino: Heaven Shall Burn lassen in Leipzig die Massen kreisen

Es ist anfangs nur ein Schuh, dann kommt ein weiterer hinzu. Beide werden über die Köpfe der kreisenden Masse beim Auftritt von Heaven Shall Burn gehalten. Der Bewegungsdrang bei der thüringischen Metalcore-Gruppe ist sichtlich enorm. Ruppige Rempeleien wechseln mit Bierduschen ab. Man feiert Weihnachten im Werk II.


Das ist aber nicht immer so an diesem ersten Weihnachtsfeierabend. Die sogar aus Hessen angereisten Fans warten schon seit 16 Uhr aufgeregt auf dem kalten Pflaster des Werk II-Geländes. Aber erst gegen halb sieben beginnt der Einlass zum Weihnachtskonzert der besonderen Art. Denn die Proben ziehen sich hin. Zuletzt stehen „Deadlock“ auf der Bühne und haben den „Soundcheck“ gemacht.



Kurz nachdem sie ihre Instrumente ausschalten, öffnet sich die hölzerne Tür zum „Darkness Over-X-Mas“. Die Massen strömen Karten wedelnd in die große Halle A. In diesem Jahr geben sich fast ausschließlich so genannte Metalcore-Gruppen die Klinke in die Hand. Die großen Namen der deutschen Metalcore-Szene sind hier zu sehen: Heaven Shall Burn, Neaera und Deadlock. Zum Leidwesen vieler treten heute die ebenfalls aus Deutschland stammenden Szenelieblinge Caliban nicht auf. Die schauen sich die Show der anderen Gruppen Backstage an und werden am zweiten Weihnachtsfeiertag in Hamburg auftreten. Die Gruppe wechselt sich mit den Münsteranern von Neaera ab.


Zwei Gruppen schlagen aus der Art: Die progressiven und melodiösen Death Metaller Dark Tranquillity aus Schweden und die Bühnenpiraten aus den USA – Swashbuckle.



Die einzelnen Auftritte werden mit gemischten Gefühlen aufgenommen. So erklären Deadlock später im Interview, dass sie nur diese kurze Spielzeit von fünf Songs haben, weil ihre Freunde von Heaven Shall Burn und Caliban sie gerne mit dabei haben wollen. Dafür sorgen die sechs Veganer um die hübsche Sängerin Sabine Weniger und ihrem tief grunzenden Kompagnon Johannes Prem mit ihrem Hit „The Brave / Agony Applause“ vom letzten Album „Manifesto“ für Begeisterung. Der poppige Zauber war aber nach fünf Liedern schon vorbei, aber an den erhobenen Händen und dem Jubel kann man ablesen, dass viele Fans die sympathische Gruppe lieben. 2010 ziehen sich die sechs zum Songschreiben für ein neues Album zurück. Es wird sicher nicht überraschungslos für die Fans werden. Soviel kann schon mal gesagt werden.



Nach ihrem Auftritt entern die lustigen Amerikaner von Swashbuckle die Bühne. Im wahrsten Sinne des Wortes holzen sich die Piraten durch ihr überlanges und abwechslungsloses Liedprogramm. So sehen es ein Großteil der Leute, die mit verschränkten Armen, aber dennoch interessiert der krachigen Variante des „Thrash Metal“ lauschen. Und so langweilen sich schnell die bereits rund 800 Anwesenden im vollgepackten Auditorium mit dem Anspruch „schnell, schneller, am schnellsten“. Heute ist wohl das falsche Publikum für die schunkelnden Trinklieder anwesend. Die meisten trinken kein Alkohol, und diejenigen, die es tun, versacken am Tresen bei Jägermeister und Lesen von Lidl-Einkaufszetteln.



Das Eis bricht bei den peitschenden Rhythmen von Neaera. Sie spielen einen Mix aus extremen Hardcore Punk, Death Metal und winzigen Einsprengseln Black Metal. Mittlerweile baumelt schon das riesige Backdrop der Headliner „Heaven Shall Burn“ an der Bühne. Das verspricht schon vieles. Doch die Gäste müssen warten. Inzwischen reißen Neaera das Ruder vom amerikanischen Schlingerkurs zu ihrem Gunsten um, erste Männlein und Weiblein surfen schon auf den Händen des Publikums durch den Saal. Die trampelnde Herde rast einen Kreis vor der Bühne oder rennt wild umherspringend aufeinander zu. Metalcore ist halt kein Pantoffelkino. Erste blutende Schürfwunden sind bei so manchem zu erkennen. Rücksicht sieht anders aus.



Die jungen Leute – zwischen 16 und 20 Lenzen – können bei den stimmungsvollen Schweden von Dark Tranquillity aufatmen. Ärgerlich für manche Fans ist nur, wie gleichgültig die intelligent gestrickte Musik von vielen Anwesenden aufgenommen wird. „Was ist das für eine hässliche Frau, die da vorne singt?“, so das plumpe Understatement so manchen angesichts der blonden Lockenpracht des Sängers Mikael Stanne. Doch hier und da wippen einige mit dem Fuß und öffnen sich für die erzählerische Kraft ihrer schon literarisch wertvollen Texte und den einfallsreichen Kompositionen. Dark Tranquillity erspielen sich Lied für Lied Respekt und bedanken sich zum Abschluss mit einem lautstarken „Leipzig is great“.



Die Anzahl der T-Shirts mit dem Schriftzug des Bandnamens ist inzwischen schier unübersichtlich. Hier sind die meisten nur wegen Heaven Shall Burn gekommen. Nach einer längeren Pause verdunkelt sich das Saallicht wieder, dann geht die japanische Sonne auf. Das Intro „Awoken“ ihres neuen Albums „Iconoclast“ eröffnet den munteren Reigen, der schon bei Neaera begann. Mit einer eindrucksvollen Lichtshow und der weißen Bühnengestaltung mit dem CD-Artwork von Bastian Sobtzick wird der Status von Heaven Shall Burn optisch unterstrichen. Wie ein wirbelnder Derwisch mischt der weiß gekleidete Sänger Marcus Bischoff die Fans auf, fordert sie bei den todesbleiernen Stakkato-Riffs auf, im Kreis zu rennen und gehörig umher zu springen. Nun verdoppelt sich die Anzahl der „Crowdsurfer“ bei aktuellen Liedern wie „Endzeit“ und der Coverversion „Black Tears“ von der schwedischen Death Metal-Band „Edge Of Sanity“. Letzteres wurde als Zugabe gespielt, nachdem einige Anwesende ihre Schuhe verloren und Bierduschen abbekommen haben. Die außer Rand und Band geratenen Fans feiern während des fast anderthalbstündigen Auftritts auch die älteren Hits wie „Counterweight“.


Viertel zwölf war der Zauber vorbei, die verschwitzten und erschöpften Massen strömen mit der wohl schönsten Weihnachtserinnerung in die milde Weihnachtsnacht. An der Straßenbahnhaltestelle am Kreuz wird auch der junge Mann gesichtet, der seine Schuhe beim Kreislaufen verloren hat. Barfüßig und ohne Socken sitzt er auf der kalten Stahlbank und wartet auf die Linie 11, die ihn zum Bahnhof bringen wird. So mancher wird auch an diesem Abend seine Wunden lecken und überlegen, ob manche mit dem Umherspringen übertreiben und mit ihren unkontrollierten Faustschlägen und Fußtritten anderen ein Konzerterlebnis vermiesen.


Fotos von Tine Kersten


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Mittwoch, 23. Dezember 2009

The Chariot: Wars And Rumors Of Wars

The Chariot gehen den unbequemen Weg, für sich und ihre Zuhörer. Und sie sind damit erfolgreich. Irgendwie werden sie für ihre vertrackten Hassbatzen mittlerweile genauso stark wahr genommen, wie ihre  Musik-Mathematik-Kollegen von Dillinger Escape Plan und Converge. Norma Jean haben hingegen einen recht belanglosen Weg eingeschlagen.


"Wars And Rumors Of Wars" ist ein dreißigminütiges Manifest taumelnder Rhythmen voller unbändiger Wut und ungezähmter Brachialität. Scheinbar fast schon von diesen Gefühlen blind, rasen die Amis um den ehemaligen Norma Jean-Sänger Josh Scogin durch ein chaotisches Kaleidoskop der Gewalt und Gefühlskälte. So klingt es jedenfalls. Aber The Chariot ist eine christliche ...Core-Band, wie August Burns Red beispielsweise. Und thematisch geht es dort um andere Geschichten, als nur dumpfer Zorn. Schon der Bandname verweist auf die Bibelzeile von Elias und den Feuerwagen. Also die apokalyptische Beschreibung des Propheten des Wagen Gottes. Und damit ist auch die Kernaussage zur inhaltlichen Ausrichtung von The Chariot getroffen. Das ist es nicht allein. Es geht auch um Themen wie Kapitalismus, Materialismus und um den Tod. Auch persönliche Erfahrungen fließen in die Lyrics ein. So auch auf diesem Album, wo Scogin den Verlust seines Vaters Tod thematisiert. 


Nun zur Kritik: das Album wurde in einer von der Band selbst durchnummerierten, signierten und gestempelten Auflage von 25.000 Stück produziert und gilt mittlerweile als ausverkauft. Die Preise bei Amazon & Co. gehen für den Silberling bereits in schwindelerregende Höhen. Nur über iTunes kann man sich das Album legal noch besorgen. Das war es auch schon. Für eine bekannte Untergrund-Band fast schon ein Hohn. Denn so werden illegale Kopien gerade zu gefördert. 

Overmars: Affliction, Endochrine ... Vertigo

Seit vier Jahren existiert das von Overmars geschriebene Album "Affliction, Endochrine ... Vertigo" mittlerweile. Inzwischen haben die französischen Schlepp-Core - Metaller ein weiteres Album, eine Split und eine EP nachgeschoben. Live sind sie leider nur im französischsprachigen und zu Teilen nur im westdeutschen Raum zu sehen. In den Genuss dieser Band sollte man absolut kommen.



Denn Overmars bieten zumindest bei "Affliction ..." eine schroffe, atmosphärische und dicht gepackte Mischung aus Cult Of Luna, Isis und vielleicht auch Neurosis. Da wabern elektronische flirrende Klangwelten, monoton kreiselnde Akkordfolgen und dumpf brütende Gesänge in das Hörzentrum. Möge die Gleichförmigkeit der ständigen Wiederholung nun endlich seine psychedelische Wirkung entfalten, unter deren Einflüssen die Musik vielleicht entstand. Mitunter schleichen Overmars dermaßen im schmutzigen Mulm, das sie schon die rauen Granitfelsen zum Vorschein schürfen. Neben ihren drei epischen Stücken "This Is Rape", "En Memoire ..." und "From Love To Exhausting ..." streuen Overmars postrockige Interludien ein, die sich mit tiefgründigen fünfminütigen Umwuchtungen abwechseln.


Bislang unentdeckt in deutschen Landen, ist Overmars aus Frankreich eine ernstzunehmende Band, die leider zu Unrecht im Schatten von Cult Of Luna, Isis & Co. steht. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie hier noch nicht so oft aufgetreten sind. 

Dienstag, 22. Dezember 2009

Musikalischer Farbfilm: Dioramic proggen in Technicolor

Manche Menschen haben sicher vergessen, dass Musik das Farbempfinden fördert. Klänge und Töne können viele Gefühle hervor kitzeln und uns auf eine innere Reise mitnehmen. Seit sieben Jahren versuchen drei junge Herren aus Kaiserslautern, Achterbahnfahrten zu vertonen. Dioramic heißt die 2002 gegründete metallische Hardcore Punk-Büffetplatte.



Mit "Technicolor" tauchen Arkardi Zaslavski (Gesang/Gitarre), Jochen Müller (Gesang/Bass) und Anton Zaslavski (Schlagzeug) in die verschachtelten Erzählungen ihrer von Licht und Schatten durchdrungenen Epen. In fünfzig Minuten scharwenzeln Dioramic mal sacht mal aggressiv um den Hörer. Das Trio legt ihm eine einfühlsame Instrumentalarbeit auf den Teller, übergießt das dann mit einer wütend kochenden Pfeffer-Chili-Soße, bis grob geschnittene Gemüsewürfel bunt auf die Sinne des Betrachters purzeln. Da erheben sich zornige Metalcore-Protze, es buhlen knarzige Postrock-Stimmen poppig um des Hörers Gunst und dann verdrehen sie ihm den Hals, bis der Letzte vor Staunen mit seinen aus den Höhlen purzelnden Augäpfeln zu kämpfen hat. Hier hat die taufrische Gruppe etwas ganz eigenes gebacken. Denn trotz der unglaublichen Vertracktheit jedes einzelnen Songs, verstehen es die drei ihre Geschichten mit rotem Faden zu erzählen. Sie finden immer wieder zurück auf den breiten Pfaden der eingängigen Tugenden, die Refrain oder mal Strophe heißen. Harmonien wechseln sich mit breitwandigen Riffs ab, weit ausladende Hymnen mit abrupten Brüchen und Schlüssen.


"Technicolor" ist ein beeindruckendes Debüt, das sich angenehm vom Metalcore-Wust abhebt und Hoffnung auf noch glanzvollere Weiterentwicklungen macht. "Technicolor" ist ein sattes Album, das für jeden, der die kanadischen Prog_Core-Helden von Protest The Hero mag, wie Lust auf die erzählerische Eleganz von Mastodon hat.