Samstag, 26. September 2009

Kein träger Mäander: Porcupine Tree erfrischen mit "The Incident"


Alles ist neu im Prog Rock-Bereich? Eigentlich nicht, aber viel wurde neu geordnet. In den Neunzigern hatten Dream Theater das Progressive-Zepter in der Hand, und Tool. Jetzt sind es wohl Porcupine Tree. Bandkopf und Hauptsongwriter Steven Wilson ist aber schon seit rund zwanzig Jahren mit diesem Projekt am Start. Seit rund zehn Jahren wachsen und gedeihen die Früchte seiner Beharrlichkeit und seinem erzählerischen Genius. 


In den letzten Jahren wurde Porcupine Tree sowohl von der Rock- als auch von der Metalpresse gefeiert. Überschneidungen in beide Genres gibt es viele im Werk von Porcupine Tree. Viel hat sich auch auf "The Incident" nicht geändert. Es ist eher die Perfektion der Perfektion geworden. Die Vielfalt an klanglichen Schichten, der eingängigen Melodien und der schieren Komplexität stehen dem übermächtigen Konzept gegenüber, einen einzigen Song auf 55 Minuten auszudehnen. Und dann eine weitere CD mit vier weiteren Stücken zu veröffentlichen. Fast anderthalb Stunden umfasst die Spielzeit beider Longplayer. 


Es ähnelt dem Vorhaben, das schon Led Zeppelin, Genesis und nicht zuletzt Pink Floyd angepackt hatten und auch damit erfolgreich waren. Danach versuchten sich viele Bands an solche Projekte; Iron Maiden und Queensryche beispielsweise, oder sogar Judas Priest und Sepultura. Konzeptalben waren bis auf ganz wenige Ausnahmen Projekte des Scheiterns. Eine unendliche Geschichte.


Bei Porcupine Tree ist das anders; trotz der verkopften und technikverliebten Musik, schimmern unzählige gefühlvolle Momente hervor. Das liegt nicht nur an der scheinbaren Leichtigkeit der Kompositionen, sondern auch an warmen und einfühlsamen Wilsons Stimme. Die erreicht nämlich, dass die vielen kleinen unterteilten Stücke des 55 minütigen ersten Albums, oder auch Songs "The Incident" zusammen gehalten werden. Auch vergeht sich Wilson nicht in Verschachtelungen und nicht mehr nachvollziehbaren Free-Jazz, sondern stellt immer noch den Song an erster Stelle. Das knüpft der Produzent und Songwriter in einem vertonten Fluss zusammen. Einem Fluss, dem man am Ufer zuschaut und trotz der Gleichförmigkeit seiner Bewegung ständig Bewegungen feststellt; sei es das Kräuseln der Wellen am Ufer, einer ruhigen Lache an der Uferzone mit flirrenden Gruppen von Fischlein, schattig krautigem Ufergewächs und Fröschen, oder dem an Steinen und Wurzeln schäumenden Wasser. Aufwühlende Tiefe und Leichtigkeit stehen im Kontrast zueinander.


"The Incident" unterliegt aber auch dem Merkmal eines typischen Konzeptalbums; eine Geschichte erstreckt sich durch scheinbar unvollendete Songfragmente, gehen ineinander über und reißen aufgehobene rote Fäden wieder ab. Wären da nicht kleine sich ändernde Wiederholungen, die überraschen. "The Incident" ist perfekt geworden, ohne Zweifel. Das Album mäandert nicht ins Nichts wie so zahlreiche andere Konzeptalben.

Freitag, 25. September 2009

Das letzte vertonte Spiel: Megadeth starten durch




Als ich 1988 Metal zu hören begann, stieß ich zweifellos auch auf eine der führenden Metal-Bands der Achtziger. Dave Mustaine war bekanntlich bei Metallica, bevor er heraus geworfen wurde. Dann widmete er sich Hochgeschwindigkeits-Metal. Speed Metal heißt das auf Englisch. Merkmale sind schnelle Rhythmen und sägende Gitarren. Melodien gibt es auch und charakteristisch klingende Sänger. Und das ist Mustaine. Seine durch die Zähne gepressten Texte gegen Politiker, Korruption, Wirtschaftskriminalität und Kriegsgeschäfte waren 1988 der Zeit weit voraus. Als er 1990 mit neuer Besetzung noch ein Speed-Metal-Vermächtnis namens "Rust In Peace" aufnahm, darin Golfkrieg und Außerirdische thematisierte, stand er auf dem in der Metal-Szene erreichbaren Zenit.


Dann hat Mega-Dave gedacht; Was Metallica können, kann ich besser. Und bewies das mit songwriterisch hervorragenden Metal / Rock-Alben wie "Countdown To Extinction" und "Youthtanasia". Dann kam der rotgelockte Sänger und Gitarrist ins Trudeln, versuchte mit den letzten Alben an alte Erfolge anzuknüpfen. Sein innerer Konflikt mit Metallica wurde tränenreich auf Metallicas Selbstfindungs-DVD "Some Kind Of Monster" ausgeschlachtet. Genau in der Phase, wo Mustaine eigentlich durchschnittliche Arbeit ablieferte. Ich schielte eigentlich nur auf seine Arbeit. In dieser Zeit, so um 2000 herum, nahm ich gerade andere Musik wahr. Metal war für mich antiquiert, nicht mehr zeitgemäß.


Nun hat er "Endgame" geschrieben und aufgenommen. Und da sind sie wieder; gefühlvolle Hymnen wie "44 Minutes", pfeilschnelle Kracher wie "This Day We Fight" und "Headcrusher". Es sind noch mehr Hits drauf. Frisch klingt es, so wie der junge Morgen wenn man erholt aufsteht und sich dem Sonnenaufgang entgegenstreckt. Wie in lauer Herbstmorgen, der wie Frühling anmutet. Doch was hat das Album speziell für uns Hörer zu bedeuten?


Für alte Fans wie mich wohl zuerst die Tatsache, dass Mustaine wieder so klingt wie in seiner besten Phase von 1988 bis 1992. Die überlagerten Gesänge, aberwitzigen Soli und das Dampfhammerriffing mit der punkig verspielten Note und die bissigen Texte sind wieder da. Natürlich wie immer, der gepresste sowie quakende Gesangsstil Mustaines. Aber so wie es aussieht, könnte es das beste Album des rotschopfigen Liedschreiber-Meisters seit "Countdown to Extinction" werden. Und das meint auch der Großmeister selbst; wenn nicht sogar das beste seiner Karriere.


Megadeth: Endgame
2009
ersch. über Roadrunner
Tracklist:


1. Dialectic Chaos
2. This day We Fight!
3. 44 Minutes
5. Bite The Hand That Feeds
6. 1,320'
7. Bodies Left Behind
8. Endgame
9. The Hardest Part Of Letting Go Sealed With A Go
10. Head Crusher
11. How The Story Ends
12. Nothing Left To Loose


Baroness: The Blue Record




Lange ist es her, als ich zum letzten Mal etwas vernahm, das wie eine innere Reise klingt. Metal hört sich ja immer direkt an. Voll in die Fresse. Man denke an Panteras "Vulgar Display Of Power". Hardcore klingt ebenso direkt. Nun gehen beide Musikrichtungen in die Breite. Vor allem Hardcore verwurzelte Musiker öffnen sich neuen Klängen, Stilen. Es entsteht so eine seltsame Fabelwelt aus Seventies, Metalhymnen und Hardcore-Geschredder.


Baroness machen es ähnlich wie ihre erfolgreicheren "Brüder" und einstigen Labelkollegen von Mastodon. Verwunschene Lied-Burgen wechseln mit direkten Attacken auf die Lauscher ab. Die offen strukturierten Stücke fließen zu einer einzigen Empfindung. Akustikteile verknüpfen schwer, düster schleichende und auch fröhlich hüpfende Lieder. Mal katapultiert man in die Stoner-Rock-Ecke, dann in die Siebziger-Prog-Rock-Abteilung, dann wieder in die Achtziger Metal-Klamotte. Iron Maiden lugen in den Harmonien um die Ecke, Metallica weniger. Dafür fehlt die Präzision. Wohl schon eher die schroffe Gangart eines Motörhead, mit kleinen dramatisierenden Momenten. Dicht gepackt mit melodiösen Soli, unterfüttert mit schweren Riffs.


Die Dreiviertelstunde Musik ist aber gefühlte zwanzig Minuten lang. So schnell kommt einem die verträumte, zusammenhanglose Reise vor. Stilistisch nicht mehr fassbar, schaffen Baroness ihre eigene Welt, ihr eigenes kleines Universum. Der Hörer muss sich erst einmal auf die Musik einlassen, die mal klar und stimmungsvoll in höchsten Sphären schwebt, dann sich wieder tief in den schlammigen Humus von Riffen und Rhythmen gräbt.


Baroness: The Blue Chord
ersch. über Relapse Records


13. Oktober 2009


Tracklist von "Blue Record": 01. Bullhead´s Psalm 02. The Sweetest Curse 03. Jake Leg 04. Steel That Sleeps the Eye 05. Swollen and Halo 06. Ogeechee Hymnal 07. A Horse Called Golgotha 08. O´er Hell And Hide 09. War, Wisdom and Rhyme 10. Blackpowder Orchard 11. The Gnashing 12. Bullhead´s Lament


Donnerstag, 24. September 2009

Bis dass der Tod uns vereint: Paradise Lost veröffentlichen neues Album

Seit zwanzig Jahren ist die britische Doom-Metal Band Paradise Lost im metallischen Fahrwasser unterwegs. Damit und mit ihrem Weg in elektrisierende Rockgefilde Ende der Neunziger Jahre war die Band erfolgreich. Doch seit ihrem 2005er Album „Paradise Lost“ fließen die stählernen Ströme wieder verstärkt durch die Adern ihrer Alben. 2009 klingen Paradise Lost gereifter und fesselnder als zu vor.



„Faith Divides Us - Death Unites Us“ ist das zwölfte Studioalbum von Paradise Lost. Es erscheint am 25. September 2009 über das Label Century Media. Das Album wurde in den Fascination Street Studios in Örebro, Schweden aufgenommen. Produzent ist Jens Bogren.
Das Album besitzt zehn Stücke, die eine Länge von etwa fünf Minuten besitzen. Das Cover wird von einem verfremdeten Totentanzmotiv von Hans Holbein des Jüngeren aus dem Jahr 1538 geschmückt, worauf ein Mönch zu sehen ist, der von einem Gerippe (Tod) weg gezerrt wird. In seiner linken Hand (vom Betrachter aus gesehen die rechte Hand) hält der Mönch ein Buch mit dem „PL“-Kürzel des Schriftzuges „Paradise Lost“. Ein versteckter Hinweis auf das bald erscheinende Paradise Lost-Buch. Natürlich wird das kein literarisches Meisterwerk wie das 1667 von John Milton verfasste Gedicht. Doch die marketingtechnische Konsequenz liegt sehr nahe: Paradise Lost nutzen ihre zweite Blüte weidlich aus. Da passt doch auch die Rückbesinnung auf die metallischen Anfänge der schwermütigen Band.




Was hört der Fan auf "Faith Divides Us - Death Unites Us"? In erster Linie wieder Metal. Mal eingängig, mal verschachtelt und hart zelebrieren Sänger Nick Holmes, Gitarrist Gregor Macintosh und die anderen düstere und brütende Stimmungen. Feine Gitarrenharmonien und -melodien durchziehen die Stücke wie fein gewobene Teppiche. Betonharte Rhythmen bilden das schwerfällige Fundament der Lieder. Hymnen und Melodien singt Nick Holmes noch immer. denn ohne diese, wäre es ein astreines Deathmetal-Album. Und das ist der Unterschied zu den tausenden anderen Gruppen. Paradise Lost verstehen Eingängigkeit und Härte miteinander brillant zu verknüpfen. Wie bei ihren oft zitierten Neunziger Jahre-Referenzwerke "Shades Of God", "Icon" und "Draconian Times". Vielleicht kann man auch "Gothic" hinzu nehmen, um "Faith Divides Us Death Unites Us" in eine Linie von Alben zu stellen, die Paradise Lost für ihre Fans unsterblich gemacht haben.




Wenn der Glaube uns voneinander trennt, der Tod uns aber vereint. Treffender kann ein Titel nicht sein, wenn es um Glaubensüberzeugungen geht und das Bestreben vieler Menschen, sich im Glauben voneinander zu unterscheiden. Der Tod als großer Gleichmacher. Schon im Spätmittelalter in unzähligen Totentanzbildern und -gedichten beschrieben. "Danse Macabre" scheint auch bei Paradise Lost auf diesem Album Thema zu sein. Doch wer blickt in die persönlichen Texte von Nick Holmes und erkennt auf Anhieb den Sinn? Jedenfalls stehen Holmes' Texte fernab schnulziger Beschreibungen von Sex, Rosen und Wein.



Vornehmlich Themen, die Aaron Stainthorpe von der anderen wichtigen Doom-Deathmetal-Band My Dying Bride so beschäftigen. Fans müssen aber auf ihren Tod nicht warten, wenn sie Paradise Lost live sehen möchten. Auf den Konzerten sind sie im nasskalten und nebligen Spätherbst wieder mit der britischen Ausnahme-Band vereint. Ironie der Geschichte: am 12. November treten Paradise Lost an den selben Ort auf, wo 1993 My Dying Bride auftraten, ... nämlich im Leipziger Club Conne Island. Auch ironisch erscheint die Tatsache, dass Aaron Stainthorpe an diesem Tag Geburtstag hat. Vielleicht stimmen Paradise Lost ein Geburtstagsständchen an. Wer weiß.






Inzwischen ist auch Videopremiere ihres neuen Clips zum Titelstück „Faith Divides Us - Death Unites Us“ auf Myspace.


"Faith Divides Us Death Unites Us"
erschienen über Century Media
25. September 2009

Spielzeit: 46:10 Minuten
Titel:
1.„As Horizons End“

2.„I Remain“

3.„First Light“

4.„Frailty“
5.„Faith Divides Us, Death Unites Us“
6.„The Rise of Denial“
7.„Living With Scars“
8.„Last Regret“
9.„Universal Dream“
10.„In Truth“




Mehr Infos


http://www.myspace.com/paradiselostuk


http://www.paradiselost.co.uk/