Alles ist neu im Prog Rock-Bereich? Eigentlich nicht, aber viel wurde neu geordnet. In den Neunzigern hatten Dream Theater das Progressive-Zepter in der Hand, und Tool. Jetzt sind es wohl Porcupine Tree. Bandkopf und Hauptsongwriter Steven Wilson ist aber schon seit rund zwanzig Jahren mit diesem Projekt am Start. Seit rund zehn Jahren wachsen und gedeihen die Früchte seiner Beharrlichkeit und seinem erzählerischen Genius.
In den letzten Jahren wurde Porcupine Tree sowohl von der Rock- als auch von der Metalpresse gefeiert. Überschneidungen in beide Genres gibt es viele im Werk von Porcupine Tree. Viel hat sich auch auf "The Incident" nicht geändert. Es ist eher die Perfektion der Perfektion geworden. Die Vielfalt an klanglichen Schichten, der eingängigen Melodien und der schieren Komplexität stehen dem übermächtigen Konzept gegenüber, einen einzigen Song auf 55 Minuten auszudehnen. Und dann eine weitere CD mit vier weiteren Stücken zu veröffentlichen. Fast anderthalb Stunden umfasst die Spielzeit beider Longplayer.
Es ähnelt dem Vorhaben, das schon Led Zeppelin, Genesis und nicht zuletzt Pink Floyd angepackt hatten und auch damit erfolgreich waren. Danach versuchten sich viele Bands an solche Projekte; Iron Maiden und Queensryche beispielsweise, oder sogar Judas Priest und Sepultura. Konzeptalben waren bis auf ganz wenige Ausnahmen Projekte des Scheiterns. Eine unendliche Geschichte.
Bei Porcupine Tree ist das anders; trotz der verkopften und technikverliebten Musik, schimmern unzählige gefühlvolle Momente hervor. Das liegt nicht nur an der scheinbaren Leichtigkeit der Kompositionen, sondern auch an warmen und einfühlsamen Wilsons Stimme. Die erreicht nämlich, dass die vielen kleinen unterteilten Stücke des 55 minütigen ersten Albums, oder auch Songs "The Incident" zusammen gehalten werden. Auch vergeht sich Wilson nicht in Verschachtelungen und nicht mehr nachvollziehbaren Free-Jazz, sondern stellt immer noch den Song an erster Stelle. Das knüpft der Produzent und Songwriter in einem vertonten Fluss zusammen. Einem Fluss, dem man am Ufer zuschaut und trotz der Gleichförmigkeit seiner Bewegung ständig Bewegungen feststellt; sei es das Kräuseln der Wellen am Ufer, einer ruhigen Lache an der Uferzone mit flirrenden Gruppen von Fischlein, schattig krautigem Ufergewächs und Fröschen, oder dem an Steinen und Wurzeln schäumenden Wasser. Aufwühlende Tiefe und Leichtigkeit stehen im Kontrast zueinander.
"The Incident" unterliegt aber auch dem Merkmal eines typischen Konzeptalbums; eine Geschichte erstreckt sich durch scheinbar unvollendete Songfragmente, gehen ineinander über und reißen aufgehobene rote Fäden wieder ab. Wären da nicht kleine sich ändernde Wiederholungen, die überraschen. "The Incident" ist perfekt geworden, ohne Zweifel. Das Album mäandert nicht ins Nichts wie so zahlreiche andere Konzeptalben.