Mittwoch, 18. November 2009

Zwischen Playmobil und Nintendo: Schockwellen grollen im Conne Island

Wer hat noch die Nintendo-Tandy-Spielekonsolen-Klänge seiner frühen Jugend im Ohr? Es gibt Gruppen, die diese Klänge in ihre Musik einbauen und das mit Metal, Klassik und Pop sowie Hardcore Punk vermischen. So gehört und gesehen am 20. November im Conne Island, als dort die "Imperial Never Say Die!"-Tour für ihren letzten Deutschlandaufenthalt stoppte.


Weil die Gruppen "Oceano", "The Ghost Inside" und "As Blood Runs Black" passable und solide Auftritte ablieferte, ihre Musik nicht ganz aus dem Metalcore-Sud heraussticht, habe ich sie einmal aus der folgenden Geschichte außen vor gelassen. Man muss nicht alles bewerten im Leben. Jedenfalls haben die Fans nicht mit den Füßen abgestimmt. Sie haben sich deren 5-Songs-Shows geduldig angeschaut, ab und an gemosht, gejubelt und gejohlt. Die Auftritte von "Iwrestledabearonce", "Horse The Band", "Architects und "Despised Icon" kamen Grenzerfahrungen außerhalb des üblichen Gesehenen erheblich näher. Aber lest selbst.


Eine bunt zusammen gewürfelte Truppe


Es war ein extremer Abend in jeder Hinsicht. Sowohl optisch als auch musikalisch. Zu den Gruppen, die alle Musikstile bunt zusammen würfeln, gehören an diesem ausverkauften Abend nur die amerikanischen Senkrechtstarter "Iwrestledabearonce" und "Horse The Band". Die anderen Gruppen spielen "Metalcore", ein brutaler Stilmix aus extremen Metal und Hardcore Punk. Wer sich jetzt wundert, wer all diesen Krawall aushält und anhört, wird noch mehr verwundert sein über den Altersdurchschnitt an diesem Abend: Vorwiegend Jugendliche im Alter von 16 bis 25 Jahren konsumieren diese zur Zeit angesagte Musik. Warum? Es ist nach Meinung vieler Anwesender die Mischung aus gesellschaftskritischen Texten, mit denen sie sich identifizieren, und der Musik. Hinzu kommt die Lebenseinstellung des Hardcore Punk, beziehungsweise ihrer Straight Edge - Bewegung. Ohne Alkohol und gegrilltes Fleisch lässt es sich auch feiern. Man nimmt keine Drogen, betreibt Sport und ist auf seine Lebensziele fokussiert. Trotzdem waren Grill und Bierstand hoch frequentiert.


An diesem Abend prangt auch an so manchem Fan der regenbogenfarbene Spruch "Metal just got gay", was soviel heißt, dass Heavy Metal angeblich nur die Schwulen abbekommen hatte. Eine kleine, doppeldeutige und nicht ganz politisch korrekt ausgedrückte Provokation der fünf Spaßvögel von "Iwrestledabearonce". Über diesen Inhalt  lieferrn auch die schrägen Typen "Horse The Band" eine passende Erklärung. Metalfans sind für sie langhaarige junge Männer, die Gruppen mit langen Haaren, Schminke und körperbetonten Klamotten anhimmeln und zudem unbeweibt sind und waren. Heavy Metal als bloße Pose und Gaukelei. Denn welche Frau lässt sich auf zottelige, übel duftende und geschmacklos gekleidete Männer ein? Stattdessen sieht der Gast heute so genannte "Playmobil-Frisuren", die wegen ihres kantig stufigen Schnitts so in der Szene genannt werden und bei Mann und Frau gleich beliebt sind. Handtäschlein tragende, mit jeder Menge Goldimitat beklebte und behängte sowie übergeschminkte Damen nutzen das proppevolle Konzert als Laufsteg. Hier geht der Geschmack auch seine ganz eigenen Wege.


Die, die mit dem Bären rangen


Was passiert, wenn Pop, Metal und Karnevalkostüm zur künstlerischen Aussage werden? Es verkauft sich. Die amerikanischen Crossover-Newcomer "Iwrestledabearonce" stellen mit ihrer zierlichen Frontfrau Krysta Cameron unter Beweis, was nicht bei Metal, aber in der Kunstszene denkbar ist:  eine brüllende und kreischende Frau, die im plüschigen Furby-Kostüm auf der Bühne wie eine Furie durchdreht sowie gleichzeitig mit ihrer glasklaren und fragilen Singstimme in die Pop-Sparte passen würde. Mit der um einige Härtegrade aufgemotzten Boxer-Hymne "The Final Countdown" der schwedischen Hardrocker "Europe" steigen die  kreisch- und springfreudigen Amis ein. 


Die zappelige Band macht mit ihrem umjubelten Auftritt die Ansage, dass sie sich um eine stilistische Einordnung ihrer Musik keinen Hehl machen. Auf ihrem bei Century Media erschienenem Debüt "It's all happening" quirlen sie auf wüste Art und Weise Elektro, Ambient, Metal, Hardcore Punk, Country, Jazz, Folk und avantgardistische Klänge, wie man sie von Björk und ähnliches kennt, zu einer für manchen unerträglich klingenden Soße zusammen. Die Fans feiern die junge Band als wären sie an diesem Abend Superstars. Sind Stücke wie "Taste Like Kevin Bacon" und "You Ain't No Family" quietschfidele Ergebnisse einer von ständigen Infos überreizten Internetgeneration?




Kann Geschmack Sünde sein?


Unangepasst sind auch "Horse The Band". Erst unlängst haben die "Nintendo-Core" spielenden Männer aus den USA mit "Desperate Living" ein Monument dieser neu aufkommenden Musikrichtung veröffentlicht. Klingt wie ein Computerspiel-Klang des ersten Atari-Rechners, auf dem Papis wütender Spross herum hämmert und dabei zornig schnauft.  Auf der Bühne zeigen sich die fünf Herren ganz im Stile von Siebziger Jahre Dandy-Boys. Oder frisch aus Bud Spencer-Filmen entstiegenen Gangstern.

Mit Pop mutiert Heavy Metal. Pelzmantel, Tapetenblümchenmuster auf dem aufgeknöpften Hemd und extremes Zusammenfallen von Mut und Hässlichkeit sind seh- und hörbare Merkmale ihrer Musik. Bei ihrem Auftritt kollabiert der herkömmliche Geschmackssinn. Gründe sind die optischen und musikalischen Reizüberflutungen, die diese Gruppe auf ihre Fans ergießt. Bewusst gegen den Strich bürsten "Horse The Band" Achtziger Pop, Computerspiele-Sounds, Metal und Hardcore-Punk in einer wüsten, fast schon unzugänglichen Mischung. Dafür werden die nun bereits halb nackten Herren gefeiert. An den zur Bühne brandenden Körpern und zum Sänger Nathan Winneke strebenden Armen sieht man den Enthusiasmus bei den Gästen. Während des langsam entgleisenden Auftritts springen auch permanent Fans von der Bühne in die brodelnde Menschenmenge um auf Händen getragen durch den Club zu "surfen". Ende vom Lied ist eine erschöpfte, aber glückliche Band.


Wir brauchen Bass


Dieses Bild setzt sich bei den Briten von "Architects" fort. Charakteristik dieser Gruppe: In jedem Lied verwenden sie Sub-Bässe, die dem Big Beat nicht ganz unähnlich sind. Durch das gleichzeitige Anschlagen der Bassdrum und mit der Hand entlang streichen am Gitarrenhals der Bassgitarre wird so ein Schockwellen artiges Beben erzeugt. Man möchte meinen, "Architects" sinnen eher auf den Abriss von Gebäuden als auf deren Aufbau. So pumpen die Tempowechsel besonders intensiv in die Mägen der Gäste, die das sichtlich genießen. Der permanent brüllende Frontmann Sam Carter freut sich über die  Reaktionen der Fans und lässt sie auch vor der Bühne im Kreis rennen, während unzählige Jugendliche auf die ohnehin schon übervolle Bühne klettern, um von ebenjener auf die Hände der hin und her wogenden Masse zu springen. Das machen sie, weil die "Crowdsurfer" durch den überhitzten Club getragen werden wollen. Pro Lied sind so mindestens zehn dieser jungen Frauen und Männer unterwegs um alle Ecken des Conne Island auszukundschaften. An ihren Freude strahlenden Gesichtern ist ablesbar, wie euphorisch sie dabei sind. Zu diesem Zeitpunkt erreicht das Konzert seinen Siedepunkt. Gerade weil die englischen Architekten innerhalb eines Jahres viermal in Leipzig und auf dem With Full Force auftraten? 


Goldig rappen tun die anderen



Ist Sport Mord? Langsam entwickelt sich das Konzert zum sportlichen Happening mit hohem Spaßfaktor. Die ebenfalls sehr tolerant klingenden Deathcore-Hip Hopper von "Despised Icon" muten gegenüber den vorher spielenden Bands sehr konventionell an.
"Despised Icon" haben aber mit dem Hip Hop als Stilmittel wenig zu tun, sie kleiden sich nur wie Rapper. Ab jetzt bestimmen schräg aufgesetzte Baseballmützen, goldene Ketten und quietschbunte T-Shirts die Szenerie. Zwei Frontmänner grunzen und quieken Problembewältigungen aus dem Alltag in die kochende Menge vor der Bühne. Mit den für Hip Hopper typischen Handbewegungen feuern die beiden ihre tobenden Fans zum Hüpfen an. Auch hier bricht die Stimmung aus und äußert sich in umher springende und surfende Fans, die mittlerweile verschwitzt und durchnässt sind. Eigentlich gelten "Despised Icon" mit ihrem verschachtelten Stilmix aus Death Metal und Hardcore Punk nicht als würdiger Headliner. Eine bekanntere Band wie es im letzten Jahr "Parkway Drive" oder "Unearth" waren, hat man dieses Jahr nicht gefunden. Den Fans störte das nicht, so dass sie den Abschlussauftritt der "Imperial Never Say Die!" - Tour in Deutschland ausgiebig feierten. Danach geht es nach Belgien, wo die Tournee am 21. November ihren endgültigen Abschluss findet.


Das heutige Beispiel zeigt, wie extrem Rockmusik geworden ist. Wo Szene-Außenseiter hier bereits ihre Geschmacksgrenzen ausloten, feiern die Kids den Soundtrack ihres Lebens. Früher war es "Happy Nation" der schwedischen Kleister-Popper von "Ace Of Base" oder ein Stück von U2, heute braucht es ganz andere Kaliber. Dass Toleranz ganz im Sinne der geschlechtlichen Gleichberechtigung von Mann und Frau praktiziert wird, zeigen Beispiele wie die Sängerin Krysta Cameron, aber auch die Gitarristin der ebenfalls an diesem Abend aufgetretenen Metalcore-Gruppe "As Blood Runs Black" und eben die zahlreichen aufgetakelten, aber auch durch natürliche Schönheit glänzenden Frauen im Publikum. Dass auch Männer an diesem Abend Mut zur Buntheit und Farbe hatten, bewiesen die manchmal ziemlich abenteuerlich zusammen gestellten Outfits, die so mancher als "Schriller als in den Achtzigern" kommentierte.


Fotos von Philipp Halling


Höreindrücke und Infos zu den Gruppen Horse The Band, iwrestledabearonce, Architects und Despised Icon gibt es auf ihren offiziellen Webseiten. Auf Youtube gibt es auch Eindrücke von iwrestledabearonce ihrer aktuellen Tour. Videoclips von "iwrestledabearonce" sind auch auf Youtube.

Sonntag, 15. November 2009

Furiose Drehungen: DevilDriver und Behemoth begeistern Fans – Ein Erlebnisbericht

Der Sonntagmorgen ist idyllisch. Rote Morgendämmerung, Meisenzwitschern und Krähengeschrei begleiten meinen Spaziergang durch den nahegelegenen Clara-Zetkin-Park. Die herbstliche Luft ist rein und klar, dicke Enten tauchen nach Wasserpflanzen und ein Reiher schnappt sich im benachbarten Teich kleine Fische. Neuseenland im Clarapark, eine interessante Metapher. Aber ein Gedanke kommt auch wieder: Heavy Metal lässt Schädel brummen.

Was ist passiert? Eigentlich hätte es ein Arbeitsabend werden sollen, als ich am frühen Abend des 14. November an den dunklen Pforten des Hellraiser-Clubs klopfte. Selbstsicher wollte ich meine Akkreditierung entgegen nehmen, als mir die kurze Mitteilung gemacht wurde, „Es tut mir leid“. Ob Dir das leid tut wird sich noch zeigen, denke ich vergnatzt. Nun gut, arbeite ich eben investigativ und begebe mich mit einer Gruppe von Fans inkognito in die Hölle von Satan, Mosh Pit und Heavy Metal.

Mit Lederjacke und Kopfsocke bewaffnet treffe ich als erstes auch Stahlin, den Tresentiger vom Helheim, der auch in der Hellraiser-Crew heute Abend Getränke ausschenkt. Mit Handschlag ein Bierchen gezischt und über die Tatsache geschnackt, warum ausgerechnet die Amis von „DevilDriver“ den Headliner geben. „Die sind hier gar nicht so wichtig. Schau dir die T-Shirts an, überall Black Metal. Die Leute sind nur wegen Behemoth da“, erzählt mir Stahlin wissend. Auch der Veranstalter und einige Fans bestätigen diese Aussage. „DevilDriver … naja“.

Gut zu wissen, dass Polen näher an Deutschland liegt als Amerika. Aber spätestens seit Rammstein wissen wir, Amerika ist überall. Doch zuerst ist England an der Reihe. Denn die Jazz verliebten „Arsis“ kommen von daher. „Die ewige Vorgruppe“, steckt mir ein Fan aus Thüringen zu, „Eigentlich ganz gut, dass die als erstes spielen“. Ich weiß es aber besser, denn zuletzt hatte die Gruppe vor weniger Leuten gespielt und es war auch vor einem Jahr weniger Begeisterung in den Gesichtern der Anwesenden geschrieben. Heute ist das anders. Hier bejubeln die Fans jeden Song und jede Ansage. Inzwischen ist meine Gruppe wieder da und bringt Bierchen mit. „So ist das hier. Eine Band ein Bier, und in den Pausen nehmen wir noch eins mit“, erklärt mir einer. Schon klingen die Flaschen und so mancher wird diesen gläsernen Klang an diesem Abend öfter hören.

„Arsis“ veranstalten indessen einen Höllenlärm. Irgendwie stockt und ruckt der donnernde D-Zug-Klang in jeder Minute. Mal vor und zurück. Irgendwie spielen „Arsis“ 15 Songs innerhalb eines Stücks und das nach allen Seiten offen. Progressiv nennt man das in Fachkreisen, „Aha?“. Trotzdem zappeln ein paar zu den Technik verliebten Geballer wie verrückt. Sie sind vielleicht schon länger hier und haben bereits ein paar Biere intus. Die Begeisterung wird mir ein Rätsel bleiben, aber nicht so die Ansage, dass „Arsis“ gute Kopfhörermusik machen. Für die Couch gut, auf der Bühne trifft's nicht jeden Nerv.

Wie war das mit der Pause? O Nein, nicht schon wieder, denke ich als der nächste Flaschenpulk auf mich zu rast. „Ich habe doch noch meins von vorhin“, sage ich zu „Paule“, einem der jungen Fans. „Dein Pech, darfst halt nicht so viel quatschen“, spricht er und drückt mir die zweite Flasche in die Hand. Und dabei ist die Pause kurz, denn schon stehen die Techniker von der schwedischen Metalband „Scar Symmety“ auf der Bühne. Mann o Mann. Das kann ja was werden, denke ich noch, während das Saallicht verdunkelt wird.

Was jetzt kommt ist das, was Insider „cheesy“ nennen. Also das blanke Gegenteil der technoiden Freaks aus England. Nämlich eingängige Titel mit Sängerwechsel aus Growlen und klarem Gesang sowie nach vorne preschenden Doublebass-Attacken. Ein wenig „Kiss“ entdecke ich, nur ohne Maskerade. Aber auch die Geschichte des Heavy Metals wird in die Musik von „Scar Symmetry“ gepackt. Dort ein Solo, das an die weltweit größte Metalband „Iron Maiden“ erinnert, da eine Gesangslinie mit einem Erinnerungsschub an selige Pop-Metal-Zeiten der Achtziger. Nur der sterile Klang und der stetige Bleifuß lässt auf die Postmoderne des Heavy Metals schließen.

Zack, wieder zu viel gequatscht. Ein neues Bier umschließt meine Faust. „Also Jungs, jetzt macht mal Halt. Ich habe hier noch zwei einhalb“, beschwere ich mich bei den jungen Herren in Metalkutten und Nietengürteln. „Dann lass es bleiben, wir geben dir nichts mehr aus, Du Weichei“, antwortet der glatzköpfige Hüne mit der bunt bestickten Kutte. Nun stehe ich mit drei Bier da und weiß nicht mehr wohin.

Die Pause naht auch schon, aber immerhin habe ich meine Gruppe verloren und kann die Pause bierfrei durchstehen. Die Flaschen stelle ich beiseite. Was macht man noch so, wenn die Pause zwischen zwei Gruppen ins Endlose gähnt? Der gewissenhafte Fan spaziert zum Merchandising-Stand. Dieser Verkaufsstand, wo Leute sich mit den aktuellen T-Shirts der auftretenden Gruppen eindecken können ist wenig frequentiert. Woran liegt das? Die Motive sind doch schick, darauf ist alles, das ein Metallerherz begehrt; Blut in rauen Mengen, Knochen, Totenköpfe und die Schriftzüge aller Gruppen in allen erdenklichen Farben: Schwarz, weiß. Vielleicht noch etwas rot, um das Blut nachzuahmen, das arme Chinesinnen beim Nähen dieser Leibchen und Bedrucken hinterließen. „Viel zu teuer“, schimpft ein Gast. Warum, frage ich. Die Gruppen wollen doch auch was einnehmen. „Nee, nee“, meint der junge Mann, „Normalerweise kosten T-Shirts weniger im Handel. Hier kosten sie 20 Euro, die Kapuzenpullis 40. Das ist bei einem Eintrittspreis von 27 Euro und ein wenig Trinken hier einfach nicht mehr drin, wenn man Student ist. Dann hole ich mir so ein Shirt lieber im Internetshop. Da kostet es 5 Euro weniger. Die Veranstalter und Gruppen denken, man kann uns ausnehmen. Zumal hier kein Motiv ist, das irgendwie an diese Tour erinnert und etwas besonderes ist. Und die Bilder sind langweilig“. Warum sind die Motive langweilig, frage ich naiv, sind doch alle Klischees drauf, die man so kennt aus der Szene. „Eben“, sagt der Langhaarige und fügt hinzu, „Klischees ziehen nicht mehr. Das beschaffen sich doch nur Dorftrottel und Leute ohne Geschmack. Da laufe ich lieber ohne solchen Mist rum und trage schlichtes schwarz“.

Jetzt verstehe ich gar nichts mehr. „Behemoth“ bedeuten doch die absolute Verkörperung des Metalklischees mit ihrer aufgesetzten Attitüde gegen das Christentum. Jede Menge Septagramme, nein lieber Leser, keine Pentagramme gibt es bei ihnen. Natürlich aus silbern angemalten Pappmaché. Umgedrehte Kreuze und geschminkte Gesichter tun ihr übriges zum Auftreten der selbst ernannten satanischen Band. Wenn man noch in schwarz gefärbte Schweineschwarte gehüllt ist, also Leder und sich mit Ketten und Nieten behängt, sieht man besonders Furcht erregend aus. Aber auf die Musik kommt es an. Und da zeigt es sich bei dieser Gruppe, dass wirklich viele wegen „Behemoth“ gekommen sind. Der beflissene Fan brüllt ihre Lieder mit und gröhlt, fuchtelt mit Fäusten und Bierflaschen. Wirklich gefährlich. Man muss mehr auf seinen Körper achten als darauf, von den polnischen Antichristen bekehrt zu werden. Dabei schaffen sie es, alle für sich zu mobilisieren. Die Bandmitglieder steigen auf Podeste um größer zu wirken, wechseln sich mit dem tief gelegten Grunzen und Schreien ab. Sehr infernalisch. „Daimonos“ heißt ein Lied von ihnen, oder „Shemhamforash“ und „Ov Fire And The Void“. Damit will die Gruppe die Welt erobern. Böse und brutal zerlegen die vier das christliche Evangelium auf ihre Weise, nämlich textlich. „Evangelion“ heißt auch ihr neues Werk. Mitnichten marktradikale Thesen, aber Thesen gegen die katholische Kirche. Da bekomme ich ja richtig Angst.

Nun sollte ja der Gau kommen. Wenn alle nicht verstehen, warum „DevilDriver“ eines Headliners nicht würdig ist, dann sollte der Kritiker mal ganz genau hinschauen. Warum dreht sich ein riesiger Circle Pit und warum sieht plötzlich jemand auf mich herab, weil er auf den Händen der Fans surft? Auch auf meinen. Ich muss ihn natürlich auch stützen, dass der arme Mann nicht runterfällt. Und plötzlich befinde ich mich im Pit. Wie ich dahin gekommen bin, weiß ich nicht. Nur dass ich mich mitten unter die Arme und Beine fuchtelnden und dabei springenden Fans geraten bin. Ein Drehmoment aus dem ich so schnell nicht heraus komme. Dass ich nicht unter die Beine gerate, fuchtele ich mit. Dann springe ich an den Rand und begebe mich in Sicherheit. Dem Treiben schaue ich von sicherem Abstand lieber zu. Unterdessen spielen „DevilDriver“ jede Menge Thrash-Metal für die immer noch zahlreichen Fans. Keiner geht. War die Angst, dass die Leute früher gehen würden, weil „DevilDriver“ keinen Black Metal spielen, unbegründet? Mit Sicherheit. Denn so viele furiose Drehungen hab ich lange nicht gesehen. Und dass eine amerikanische Gruppe im Osten unserer Republik derart abräumt, hat keiner geglaubt. Gilt doch die USA als oberflächlich und deren Metal als nicht nachhaltig genug hierzulande, sagen die „Experten“. Aber Amerika ist überall, sagten schon Rammstein vor Jahren. Sogar im Hauptbahnhof, wo sich bei der anschließenden Fahrt in dem total verrückten Bus viele wiederfinden um einen anderen Amerikaner kennen zu lernen. Der mit den beiden laschen Brötchen und dem muffigen Fleisch drin.

Da haben es die schnatternden Enten im kalten Teich des Clara-Zetkin-Parks besser. Sie leben ruhiger, zanken sich ab und zu und watscheln behäbig durch das gehäufte Herbstlaub. Inzwischen hat der Reiher am Ufer des Teichs wieder ein Fischlein geschnappt und lacht innerlich den dicken Angler am anderen Ufer aus. Der wartet immer noch auf den großen Fang im kleinen Parkgewässer. Und wenn ich so nachdenke, dass der Abend im Hellraiser so toll für viele Fans gewesen sein muss, viele um 7 Uhr Morgens noch berauscht von Bier und Lärm im Dunkeln schlummern, gehe ich langsam zu meiner Wohnung zurück und genieße mein kleines Frühstück. Nichts ist schöner als ein gelungener Start in den Tag.


Fotos Philipp Halling