Mittwoch, 21. Oktober 2009

Ein musikalischer Schwedentrunk: Miseration spiegeln die Schatten der Vergangenheit


Klassischer Death Metal der Göteburg-Schule. Gibt es das noch? Heftige Bleifußgewitter und melodiöse Einsprengsel charakterisieren diesen scheinbar unverwundbaren Stil, den einst At The Gates, Dark Tranquillity und In Flames begründeten und seit nunmehr als Blaupause für zahlreiche Metalcore-Gruppen dient. Zu diesen Schablonen werden Miseration mit ihren Stil ganz gewiss nicht gehören.


Nicht weil Miseration so langweilige Musik machen, soll das so ein. Miseration gelingt es mit diesem Album, die alte Kraft in den Death Metal zurückzuführen. Eine Energie, die nur noch wenige von Edge Of Sanity kennen und noch ganz wenigen übrig gebliebenen Schwedenhappen wie Demonical und Necrophobic gekonnt beherrschen. Bei Miseration regiert keine poppige Langeweile, kein Mischstil. Hier gibt es schwarzen und lupenreinen Death Metal zu hören, der zu einer rasanten Autofahrt durch die schattigen schwedischen Wälder in der Dämmerung verführt. Das einzige, das man sieht, sind die zittrigen Scheinwerferlichtkegel auf der Fahrbahn und den durch die blickdichten Wipfel schimmernde Bläue der herein brechenden Nacht. 


Die Reise auf "The Mirroring Shadow" geht in die vertrauten Gefilde der Frühneunziger, wo die Genres noch nicht vom einlullenden Boygroup-Geträller bis zur Unkenntlichkeit verwaschen wurden. Hier hat Metal noch Eier und drückt wie eine unbarmherzige Wand gegen die Eingeweide, fräst sich sägend in die weichgespülten Gehirnwindungen und verharrt als großer dunkler Klumpen in der Erinnerung. Ein schwerer Brocken, fürwahr.

Der hassende Brodem des Metal: Hatebreed gar nicht so plump


Irgendwie passte es nicht zusammen als Hatebreed auf dem With Full Force 2009 inmitten von ständig züngelnden Flammenbäumen in bunten Klamotten umhersprangen und die Hardcore-Punk-Keule schwangen. Zwischen Rauchschwaden und explodierenden Feuerbällen hüpfte ein fröhlicher Jamey Jasta im Sodom-Shirt herum. "The Saw Is The Law". Ein aufgesetzter Anachronismus, den Gruppen wie die NWOBHM - Chaoten von Venom längst überlebt hatten. Außer heiser und müde bellenden Schütterhaar-Hippies ist davon nichts übrig geblieben.


Und nun kommt das Album zur Show? Irgendwie schon, denn Hatebreed lassen auch mit dem selbstbetitelten Album einfach nicht locker, den letzten Skeptiker davon zu überzeugen, dass mit ihnen mehr zu rechnen sei, als den Horden von lederbehosten Nietengürtelträgern aus dem hohen Norden Europas. Denn irgendwie schaffen es Hatebreed, sich von ihren großen Apologeten von Slayer zu lösen. Hatebreed machen etwas, das selbst Slayer nicht mehr schaffen: Die Achtziger wieder fühlbar zu machen. eine Zeit, wo sich Thrash Metal noch seinen Hardcore Punk - Einflüssen bekannte und nichts mit post-pubertären Satansgeheule zu tun hatte, wie es heute uns Gruppen wie Nifelheim & Co. weis machen wollen. Bei Hatebreed herrscht wie seinerzeit es Pantera taten, die klare Ansage, der direkte Schlag ans Kinn. Das macht die Truppe um den mopsfidelen Jasta mit brütend dumpfer Brutalität, aber auch mit einer gewissen Leichtigkeit, die in eingängigen Songs wie in "In Ashes They Shall Reap" mündet. 


Und dann passen auch die Flammenwerfer und die Pyroshow auf dem With Full Force. Hardcore emanzipiert sich von der Szene, vermischt sich mit der billigen und kindischen Attitüde von Metal. Das ist schon irgendwie wieder cool. 

Metalcore goes to Pop: Atreyu wollen mit Congregation Of The Damned hoch hinaus


Seit Jahren heißt es, dass der klassische Metalcore mit seinem Wechsel aus Brüllen und poppigen Gesangslinien ausstirbt. Also gar nicht mehr tragfähig sei. Die Musikgeschmäcker wachsen entweder mit der Band mit oder ändern sich einfach. Im Fall von Atreyu ist Veränderung vielleicht die letzte Konsequenz, um aus der Metalcore-Falle zu entfleuchen. Ergebnis ist ein betont ruhiges und auch vorhersehbares Album. "Congregation Of The Damned" heißt das gute Stück und hat schon mit seinem Cover einen betont düsteren Touch.


Doch düster ist die Musik von Atreyu nicht. Vielmehr poltert  und schippert es in gemäßigten Gewässern. Was hier fehlt, ist der letzte zündende Ausbruch aus dem monochromen Einerlei, wo einzig allein die poppig gesungenen Boy-Band-Gesänge und vielleicht noch in sich stimmige Songs wie "So Wrong" herausstechen. Wie schon bei ihrem Vorgänger "Lead Sails Anchor Paper"schimmern kleine Experimente hervor, wie dissonante Soli, erzkonservative Hard Rock-Anleihen und Streichereinsätze. Doch all das scheint irgendwie in einem Delay gefangen zu sein. Der Pfeffer fehlt weitestgehend in der Suppe. 


Die Songs schleppen sich größtenteils schwerfällig durch das Album, als wäre es für die Musiker eine Qual und Sklavenarbeit, ihre Musik irgendwie am Leben zu erhalten. Einige Lichtblicke wie "Gallows" und "Insiatible" und "So Wrong" gibt es schon noch. Gerade bei diesem Beispiel erscheint die Band wieder auf einen Wohlfühl-Level zu sein. Doch gute Ansätze wie bei dem balladesk beginnenden Lied "Storm To Pass" werden mit Sleaze Rock-Einschüben regelrecht relativiert, obwohl nett anzuhören. Knackpunkt an der Scheibe ist nicht, dass Atreyu so freizügig mit stilistischen Mitteln umgehen. Hier hat es eher den Eindruck, dass die sympathische Gruppe auf vorhersehbaren Mustern wandelt. Aber das sehr selbstsicher und eigenständig. Aber angesichts gerade aktueller Alben von August Burns Red, Misery Signals und Architects, die den Metalcore neu definieren und auf ein neues spielerisches Level hieven, erscheint das Album von Atreyu etwas antiquiert und nicht selbstbewusst genug.

Dienstag, 20. Oktober 2009

Arabische Hymnen in schwarz: Nervecell beten Gift


Death Metal gibt es als Spielart schon nahezu 25 Jahre. Und immer noch schießen Bands wie Pilze aus dem Boden. Neu ist allerdings, dass in West- und Mitteleuropa auch Gruppen bekannt werden, die aus Israel, Indonesien, Taiwan und Japan stammen. Nun gesellen sich Nervecell aus den Arabischen Emiraten dazu. Dort gilt Metal als blasphemisch. 


Man möchte meinen, dass Nervecell orientalischer klingen als Nile, aberwitziger als Morbid Angel. Beides Gruppen, die sich mit Altorientalistik und Ägyptologie bestens auskennen. vor allem, wenn es um die dunklen Mächte geht. Vor allem Nile baut orientalische Skalen ein, schwurbelt Bauchtanzmusik mit kräftigem Death Metal-Futter in die musikalische Quintessenz. Da müssen Nervecell doch auch so vorgehen? Die Vermutung liegt nahe, wenn man ein Stückchen nördlicher schaut und in Israel Orphaned Land entdeckt. Auch orientalisch, liebevoll gestrickt.


Nervecell spielen aber amerikanisch-westeuroäischen Death Metal, sehr technisch und teilweise auch vertrackt. Songstrukturen werden bei den unheiligen Rhythmen durch unzählige Brüche und einigen ausufernden Soli gekonnt umgangen. Die orientalische Identität bleibt beim Hören weitestgehend verwischt. 


Trotzdem können Nervecell ganz gut mit dem musikalischen Westen mithalten. Die Araber schmettern grundsolide Stücke in das Death Metal verseuchte Gehirn des Zuhörers, auch wenn man rückwärts gesprochene Botschaften, irgendwie geheimnisvoll klingende Sturzfluten an antiken Flüchen und eine gewisse Entfesselung vermisst. So bleibt "Preaching Venom" einfach nur  ein gut eingespieltes Stück globalisierte Metalgeschichte, das keine großen Höhepunkte aufweist. Etwas mutlos, aber dennoch ein Hingucker wert. Im übrigen, die Band scheint sehr aufgeschlossen zu sein und hat sich nicht der schmalen Zuschauerzahlen auf dem With Full Force beirren lassen. 

Montag, 19. Oktober 2009

Von den Toten auferstanden: Alice In Chains veröffentlichen "Black Gives Way To Blue"


Man hat es nicht zu glauben vermocht. Nach dem Tod von Sänger Layne Staley habe auch ich gesagt, dass das Projekt Alice In Chains mit ihm gestorben sei. Denn keiner hat die Gruppe so stark geprägt wie der sympathische Schreihals und bunte Vogel Staley. Keiner konnte Anfang der Neunziger so melancholisch wimmern, klagen und singen wie er. Doch der Löwenanteil der Stücke stammt damals wie heute vom Gitarristen Jerry Cantrell.


Nun haben Alice In Chains seit langem schon mit dem afroamerikanischen Sänger William Duvall experimentiert, Auftritte absolviert und noch einmal von vorne angefangen. Nun muss er sich mit Layne Staley in Sachen Ausdruckshaftigkeit messen lassen. Das ist zum Scheitern verurteilt. Zu einem Neustart gehört freilich auch die Akzeptanz, dass etwas anders ist. Und dieser Schritt ist für manche Anhänger von Layne Staley schwierig zu gehen. 


Aber die Songs überzeugen! Und wie! Denn wie soll es anders sein, sind sämtliche Stücke ganz in der typischen Alice In Chains-Tradition geschrieben, walzen sich langsam und dunkel in die Lauscher, dämpfen das Gemüt auf ein trübes Grau und faszinieren von Anfang bis Ende wegen ihrer fahlen Art. Düsternis geht auch ohne wüstes Geschredder, dumpfes Brummen und heiseres Gekeife. Alice In Chains pflegen immer noch den tiefsinnigen Mondgesang, verbreiten vielschichtige Tristesse. Wie eine moderne Form des Black Sabbath, wesentlich moderner und glaubhafter umgesetzt. Und man mag es irgendwann auch nicht glauben; Layne Staley vermisse ich zwar ein wenig, denke manchmal daran wie die eine oder andere Phrasierung mit ihm klingen würde. Wäre sie verlorener, tiefer, windender und depressiver? Sicher, aber die Gesangslinien sind hier ebenfalls ganz traditionell. Als ob sie Cantrell ebenfalls schreibt und schrieb. Nur die Klangfarbe ist mit William Duvall anders, unauffälliger. Doch angesichts der großartigen Stücke ein zu verschmerzender Aspekt. 

Ein leiser Donnerschlag: Pearl Jam rumoren auf "Backspacer"


In hübscher Regelmäßigkeit veröffentlichen die letzten Grunge-Helden durchweg großartige Alben. Grunge ist schon seit 15 Jahren gestorben, Pearl Jam haben sich nie in der melancholischen Fuck You-Attitüde wohl gefühlt. Und sind immer noch dabei. Ihr neues Album „Backspacer“ ist mehr als nur ein Lebenszeichen, es ist ein leiser Donnerschlag in vielerlei Hinsicht.


Zuerst stellt Sänger Eddie Vedder meines Erachtens mit dem ruhigen, Folk lastigen Stück „Just Breathe“ wiederum unter Beweis, dass er eigentlich einer der begnadeten Folksinger und -songwriter ist. Eine Tatsache, die er schon mit dem Soundtrack für den Film „Into The Wild“ eindrucksvoll bewies. Anstatt wütend zu schäumen, gehen Vedders Wutausbrüche in textliche Subtilität über. Wie schon immer, brodelt es unter seiner Oberfläche, bricht  nur vereinzelt kratzend rau aus ihm heraus. Wer zum Ende „The End“ hört, wird in sich zusammen sinken und wirklich still sein. 


Die anderen Stücke erscheinen dann plötzlich weit und fern, wenn sich die Tiefe von „Just Breathe“ und „The End“ offenbart. Es wäre aber falsch zu denken, dass das Album nur um diese sechs Minuten gestrickt wurde. Es sind viel eher die Texte und Details, die auch die anderen Stücke zu kleinen Perlen heranwachsen lassen. Pearl Jam haben mit „Backspacer“ auch ein Album geschaffen, das weniger schroff und sperrig klingt als die Trotz-Reaktionen „No Code“ und „Vitalogy“ auf das Grunge-Überalbum „Ten“. Hymnen gibt es auch bei „Backspacer“. Das sich aufwühlend aufbauende „Amongst The Waves“ gehört dazu, oder auch das verspielte „Got Some“ und protestierende „Unthought Known“. Stimmungsvoll schmeichelt sich Folk betont „Speed Of Sound“ in die Gehörwindungen. Völlig ohne Klischee und Pathos. Einfach echtes Gefühl, das man immer dann spürt, wenn man in die Ferne schaut, Dinge überblickt und zu sich selbst findet. Dann will man am liebsten ewig zuhören, wenn Ed Vedder singt, „Yesterdays, How Quick They Change / All The Lost and Long Gone Now“.


Dann wird der Zuhörer mit „Backspacer“ wirklich in die frühen Neunziger zurück katapultiert, oder auch in die späten, als Pearl Jam mit „Yield“ wieder zur Hymne zurückfanden. Erinnerungslücken schließen sich allmählich, und auch die Erkenntnis kommt wieder, dass Pearl Jam einfach nur eine Rockband sind, die es verstanden hat, sich und auch ihren Ruf als träumerischste Grunge-Band der Seattle-Zeit zu überleben. Grunge haben sie überwunden. Da ist wohl die beste Entwicklung, die diese Band gehen kann. Doch zu unseren Herzen stürmen sie alle Barrieren.


Zu guter Letzt stürmen Pearl Jam auch die Herzen ihrer Fans, indem sie mit ihrem Album ein Mulitimedia-Interface bieten, wo man durch das Anklicken einzelner Oberflächen auf eine Downloadseite ihrer Homepage gelangt, kostenlos zwei Konzertmitschnitte downloaden kann, oder Wallpaper, Fotos und vieles weitere. Mehr fürs Geld und eine gelungene Lösung, die ein MP-3-Format nicht bieten kann.