Montag, 28. Dezember 2009

Ein großer Satz nach vorne: Die Leipziger Metalcore-Band Portrait Of Tracy mit neuem Line Up

Sänger Ozzy und Gitarrist Phil sitzen entspannt in einer gemütlichen Lounge der Moritzbastei. Der tattrige „Prince Of Darkness“, Ozzy Osbourne ist nicht etwa bei den sächsischen Untergrund-Metallern eingestiegen, nein. Ozzy ist ein springfideler Mittzwanziger und bekennender Straight Edge-Anhänger aus der Pleiße-Metropole L.E. 


Straight Edge heißt soviel wie kein Alkohol, kein Fleisch, keine One Night-Stands und Gehirn einschalten. Im richtigen Leben heißt er Oscar Michlenz und will nun das schaffen, was der Leipziger Metalcoreband „Myra“ bereits gelingt: Mit Musik leben und auf den großen Bühnen der deutschen Clubs und Festivals zu stehen.


Im November hat die Leipziger Metalband Portrait Of Tracy den zweiten Auftritt mit dem charismatischen Frontmann absolviert. Warum kommt von der Band gerade jetzt der massive Druck gerade im Gesang Ozzys nach vorne und welche Pläne haben die Leipziger für die Zukunft?



Portrait Of Tracy wurde vor fünf Jahren in der Pleißemetropole gegründet, setzt auf metallische Markenzeichen, aber auch Hardcore Punk. Ein wenig windet sich die junge Band mit der Begrifflichkeit „Metalcore“, auch wenn ihre Musik so klingt. Im Leipziger Raum wurden sie recht schnell bekannt für ihren unverwechselbaren Klang, hatten sie doch einen völlig anderen Sound gefahren als ihre Kompagnons von „Myra“ und „Arranged Chaos“. Nun gab es auch einen Sängerwechsel. Gitarrist Phil hatte vorher eher die höheren Tonlagen getroffen, Ozzy entpuppt sich als springender Brüllwürfel. Noch steht das musikalische Pflänzchen auf wenig bewässerten Boden, aber was nicht ist, kann ja noch werden. Touren soll ja bekanntlich beim Bekanntwerden helfen, am 12. Februar treten sie wieder in Leipzig auf.


Ozzy absolviert bei seinen Auftritten sowohl bei Locust Reign als auch bei Portrait Of Tracy immer eine sehr sportliche Show. Würde er das auch durchhalten, wenn der bärtige Mann mit Portrait Of Tracy zehn Tage am Stück auftreten müsste? „Ich müsste es versuchen. Da hilft nur trainieren, für den Fall, dass wir doch noch mal touren.“, sagt der freundliche Sänger mit leiser und ruhiger Stimme. Neben ihn sitzt Gitarrist Phil, der vorher auch den Sängerposten inne hatte. Er erzählt ausführlich, wie die Band auf „Ozzy“ stieß: „Früher habe ich ja gesungen. Irgendwann wurde mir das zu langweilig. Nicht dass mir Singen keinen Spaß bereiten würde. Es ist nur so, dass man am Mikro und an der Gitarre gleichzeitig wenig Möglichkeiten hat, die Leute anzufeuern. Man steht nur an einem Fleck und kann sich kaum bewegen. Wir sagten uns dann als Band, wir brauchen jemanden, der den Fans einheizt und nach vorne prescht. Gerade während der Instrumentalparts ist das wichtig. Ich überlegte mir dann, wer für uns den Frontmann machen kann. Mein erster Gedanke war, eben „Ozzy“ zu fragen.“


In Leipzig läuft man sich ständig über den weg und kennt sich schon längere Zeit. Phil schildert das 'Wie' in seiner heiteren Weise: „Ich hatte ihn letztes Jahr mit seiner Band „Locust Reign“ im Werk 2 gesehen, und war von seiner Action begeistert und auch stimmlich passte es ganz gut. Später schrieb ich ihn über ein soziales Netzwerk an und wartete auf seine Antwort, weil er lange Zeit sich nicht meldete. Dann ging es ganz schnell, er rief an und sagte „Ich habe Lust mitzumachen“. Dann haben wir uns nur über unsere Vorstellungen ausgetauscht und nun treten wir zusammen mit ihm auf. Im August lief das über die Bühne. Das ist also noch sehr frisch, dass „Ozzy“ dabei ist.“


Ihr erster Auftritt mit Ozzy fand in Goslar statt. Das war ein sehr kurzfristiger Auftritt. Portrait Of Tracy spielten im November in der Stadt. Ozzy erzählt rückblickend: „Das war echt eine Überraschung dort. Wir hätten nicht gedacht, dermaßen in Goslar abzuräumen. Die Leute waren begeistert und haben mitgemacht, kamen auf die Bühne. Für uns war das ein voller Erfolg und auch eine super Bestätigung. Die Veranstalter waren mit dem Konzert auch sehr zufrieden und wollen uns auf jeden Fall wieder dabei haben. In Goslar hat uns das wirklich kalt erwischt. Wir sind immer noch perplex, wie positiv unsere Musik aufgenommen wurde. Mit „Locust Reign“ hatte ich schon meine Erfahrungen dazu gesammelt und auch recht gute Reaktionen erfahren, aber mit „Portrait Of Tracy“ war das eine ganz andere Stufe. Schon allein, was das Songwriting angeht und das Equipment.“
Phil fügt lächelnd hinzu: „Für Leipzig war das besonders spannend, weil die Leute hier beide Gruppen kennen, also „Locust Reign“ und „Portrait“. Ich selbst habe mich nicht so auf das Publikum konzentriert, so dass ich hier nicht viel sagen kann. Aber uns kam zu Ohren, dass viele unseren Auftritt auch cool fanden. Experiment geglückt, sage ich da mal.“


Noch gibt es auf ihrer Myspace-Seite die Songs, die Phil, eingesungen hat. Die Band beruft sich auch ein wenig auf die kanadischen Prog-Metalcore-Helden„Protest The Hero“. Jetzt auch noch? Der Gitarrist windet sich ein wenig bei dem Gedanken, den selben Anspruch wie Protest The Hero mit seiner Band zu besitzen: „Jein. Protest The Hero sind nur an der Stelle dabei, wenn es um schnelle Gitarrenläufe geht und technisch anspruchsvolle Arrangements. Dafür sind sie definitiv ein Anreiz. Mit „Ozzy“ ist das jetzt ein Stückchen weit anders. Er hat einen brutaleren Gesangsstil, was vor seinem Einstieg auch anders war als ich noch sang. Bei „Protest The Hero“ sind meiner Meinung nach auf viele klassische Metal-Elemente drin, wie die Kopfstimme.


Als viele hörten, dass „Ozzy“ bei Portrait Of Tracy eingestiegen ist, gab es auch die Vorstellungen, dass sich der Sound anders würde. Man kann sich nur schlecht vorstellen, dass er ausschließlich hoch singt. Schreibt die Band neue Stücke, oder belässt sie es erst einmal beim Auftreten? Phil relativiert auch hier ein wenig und korrigiert: „Der erste Schritt ist für uns erst einmal, zwei Lieder mit „Ozzy“ aufzunehmen. Die wollen wir zunächst auf unsere Myspace-Seite zum klingen bringen. Uns geht es mehr um die Booking-Angelegenheiten, weil wir den Leuten nicht ständig erklären wollen, dass sie sich unseren jetzigen Klang wie eine Mischung aus uns und dem Gesang von „Locust Reign“ vorzustellen hätten. Album … , mal sehen, was nächstes Jahr auf uns zukommt. Erst einmal viel auftreten.“


Dann schwenkt das Gespräch zu einem Thema um, das seit Jahren viele Hardcore Punk- und Metalfans interessiert, spaltet oder auch vereint. Metalcore ist für beinharte Metalfans ein Schimpfbegriff. Nicht zuletzt liegt es auch am Benehmen einiger weniger Fans, die wüst herum rüpeln und durch ihr rücksichtsloses Gebaren auffallen. Das ist nicht immer so, wie man es erst am 27. Dezember im Leipziger „Absturz“ sehen konnte, als die Leipziger Metalcore-Band „Myra“ ihren hundertsten Auftritt feierte. Hier wurde schon aus Platzgründen wenig geschubst. Manchmal spielen Vorurteile gegenüber die Straight Edge-Bewegung eine Rolle, dass die Szene missliebig beäugt wird. Doch gibt es in der so genannten Metalcore-Szene immer noch Weg weisende Impulse, Neuerungen? Oder ist das Ganze auf der Musikebene mitterweile ausgelutscht und abgenutzt? Phil und Ozzy steigen sofort auf das Thema ein und distanzieren sich ein Stück weit vom klassischen Bild einer Metalcore-Band, Phil gibt das pro: „Der Begriff ist unserer Meinung nach nicht so ausgelutscht. Es ist etwas anderes, das uns an „Metalcore“ stört. Metalcore hat viele Schnittmengen mit Hardcore Punk. Letztere ist ziemlich politisch, zumindest findet man dort inhaltsstarke Texte mit Aussage. Das fehlt unserer Ansicht nach ein wenig im „Metalcore“. Wir wollen Inhalt und Aussagekraft für uns einbringen. Die Mischung von Metal und Hardcore Punk finde ich an sich nicht schlimm. Wenn es gut gemacht ist, warum nicht.“ Frontmann Ozzy kontert freundlich: „Ich bin da gegenteiliger Meinung. Metalcore besitzt für mich eine negative Konnotation. Im Laufe der Zeit wurde dieser Stil zu einem Klischee, zum Mainstream. Der Begriff ist für mich sehr verbraucht. Deswegen versuche ich immer eine eigene Stilbezeichnung zu finden. Mit „Metalcore“ wird man immer mit den Trendhoppern in einen Topf geworfen. Die Bezeichnung ist für mich auch zu allgemein gehalten.“ der bebrillte Gitarrist ergänzt versöhnlich: „Wenn jemand uns in die Ecke „Metalcore“ schiebt, weil er uns nicht anders einordnen kann, gut. Nur wenn ich gefragt werde, welchen Stil wir mit unserer Band spielen, dann wird es schwierig. Durch unsere Einflüsse haben wir eigentlich einen eigenen Stil entwickelt. Mit unserem neuen Line-Up ist eben alles anders. Wir beginnen einfach neu und ich denke, dazu werde ich mir noch die passende Stilbezeichnung einfallen lassen.“


Auftreten, auftreten, auftreten. Die Leute werden schon Portrait Of Tracy registrieren. Dann will die Band weitersehen, was auf sie zukommt. Das wichtigste ist für sie erst einmal Live spielen.


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New Hate Rising: Myra verdoppeln Angriffslust

Eigentlich war es ein Freizeitabend am 27. Dezember. Das Jahr ist alt, Myra haben im Absturz ihre einhundertste Show geliefert und das Publikum feierte Weihnachten nach. Die Leipziger Metalcore-Band um Sänger Sebastian Spillner befindet sich gerade mitten im Mixen ihres neuen Albums, das im April über die Ladentheken gehen soll.


Der Absturz ist eine Musikkneipe mit einer kleinen Bühne auf dem Feinkostgelände an der berühmten Kneipenmeile "Karli" gelegen. Man muss zunächst über den kargen Hof stiefeln, an den verschmutzten Dixie - Toiletten vorbei durch eine wackelige Holztür. Das Innere ist übersichtlich: links neben den Eingang ist gleich die Bühne. Weiter hinten an der rechten Seite befindet sich der gemütliche Tresen. Preise von 2 EUR das Drittel Liter Bier in kleinen Szeneflaschen plus Pfand von 50 Cent. Die Preise sind dem gehobenen Standard der Karli angepasst, obwohl Lage und verwittertes Aussehen niedrigeres Entgelt vermuten lassen. Aber egal.


Zusammen mit "In The Lines We Cross" und "Coldburn" wollen "Myra" mal die frische Luft außerhalb des Studios von Disillusion-Fronter Andy Schmidt schnuppern. Ist auch richtig, denn so erproben "Myra" zwei neue Songs auf Bühnentauglichkeit. Ansonsten steht Party an im dichtbepackten Absturz. Nach den beachtenswerten Auftritten der beiden Vorgruppen gibt es für die Leipziger kein Halten mehr. Das Adrenalin geht bei Frontmann Sebastian Spillner auf Höchstwerte. Unentwegt springt er ins Publikum, lässt sich auf Händen surfend durch das Auditorium tragen. Songs ihres letzten Albums "The Venom It Drips" lassen die vorderen Reihen brodeln. Weil Weihnachten ist, gibt es auch gleich Fangeschenke: Poster der Band vom diesjährigen Auftritt beim With Full Force, wo die fünf mit dem Rücken zu den Massen in der Tentstage stehen. Myras bis dato größter Auftritt überhaupt.


Mit dem neuen Album wird das hoffentlich ein Dauerzustand. Gilt die beliebte Band schon als neuer Komet am deutschen Metalcore-Firmament, wo schon Maroon, Neaera, Heaven Shall Burn und Caliban ihren Platz gefunden haben. Weitere Bands aus LE. können mit Arranged Chaos und Portrait Of Tracy folgen. Doch 2010 steht die Aufmerksamkeit ganz "Myra" zu, auch wenn "Arranged Chaos" ihr erstes richtiges Debütalbum veröffentlichen werden.

Sonntag, 27. Dezember 2009

Moritzbastei: Phillip Boa & The Voodooclub wärmen Veranstaltungstonne auf

Er gehört mit seiner Band zu den letzten Einhörnern des Independent-Rocks. Phillip Boa & The Voodooclub gastiert seit Jahren zu Weihnachten in der Leipziger Moritzbastei. Dieses Ereignis ist schon Tradition im alten Gemäuer. Aber im Gegensatz zu vielen Künstlern, die mit der MB altern, zeigt sich Boa mit seiner Band frisch wie vor 25 Jahren, als der Voodooclub gegründet wurde.


Am 25., 26. und 27. Dezember gab der Voodooclub um Sänger und Komponist Phillip Boa und Sängerin Pia Lund sein neuestes Werk „Diamonds Fall“ zum Besten. Aber auch alte Hits wie „Container Love“, „Kill Your Ideals“ und „Then She Kissed Her“ kommen an diesen Abenden nicht zu kurz.



Einen entspannten Einstieg findet der Abend, dass niemand am Einlass Schlange steht, gemütlich kühle Schwarze und Blonde gezischt werden, während man ein wenig am Verkaufsstand nach dem neuesten Album „Malta Tapes Vol. 1“ stöbert. Oder man speist an den langen Holztischen am Verbindungsschlauch zwischen Rats- und Veranstaltungstonne. Langsam startet auch der rockige Eröffner „Eher Uncool“. So heißt die frische Gruppe, die Leipzig mit melancholischen, neblig-rauchigen Indie-Rock verzaubert. Ihre nachdenkliche Mischung aus Blumfeld und Joy Division kommt bei den Leipzigern gut an. Sanft wird applaudiert, neugierig beäugt und beschnuppert. Warum „Eher uncool“? Der Name ist doch „cool“ gewählt!



Die deutschsprachig singende Truppe ist eine feine Wahl für heute Abend. Die Band eröffnete mit ihrem zitternd fragilen Gitarrenpop schon 2006 für Boa. Zumal Sänger Alexander noch am Ende der halbstündigen Show seine verträumte Liebe über Leipzigs „Großstadtmeile“ Karl-Liebknecht-Straße auspackt und nun endlich für Zustimmung und Kopfnicken beim zögerlichen Publikum sorgt. Hier wird wohl so mancher neuer Zuhörer gewonnen. Am Abend zuvor spielten die Leipziger Rocker „Cox And The Riot“, die nach Hörensagen gehörig abgeräumt haben sollen. Wenn die Band so weiter macht, kann sie bald Leipzig größter Export nach „Disillusion“ werden, munkelt man.


Bald wird es voll am Tresen und auch in der kühlen Veranstaltungstonne. Das verwitterte Gemäuer wärmt sich bald auf, als immer mehr Menschen in sie hinein strömen. Dicht an dicht stehen die Reihen als das Licht aufblendet und der Voodooclub mit Sonnenbrillen mit „Lord Have Mercy With The 1-Eyed“ vom neuen Album „Diamonds Fall“ einsteigt. Aufbrausender Jubel bei den Fans, die nach diesem Lied schon herumspringen und kuschelnd rempeln.



Pogen bei Boa? Das ist möglich, wenn der gut aufgelegte Sänger mit farbig unterfütterten Stücken wie „Eugene“ und „All I Hate Is You“ los legt. Über zwei Stunden genießen Boa und Sängerin Pia Lund bei der bunt gesprenkelten Lichtshow ihren Best-Of-Auftritt und kommen für drei Zugaben zurück auf die Bühne. „This Is Michael“ gehört ebenso zu den vom Publikum mitgesungenen Liedern wie „Container Love“. Am Ende klatschen die Menschen mit „Pia! Pia!“-Rufen die blonde Sängerin zurück in den Saal. Dann haucht sie zum Abschied den ewigen Hit „And Then She Kissed Her“, der von jedem in der Tonne mit gesungen wird und für Gänsehautstimmung sorgt. Auch die neuen Liedperlen wie „Diamonds Fall“, „“Valerian“ und „Jane Wyman“ werden ausgiebig gefeiert. Zum Schluss kommt der Maestro noch einmal auf die Bühne und verabschiedet glücklich die ersten Reihen mit Händeschütteln und einem Lächeln auf den Lippen. Boa kommt wieder. Das ist sicher.


So brechen die Anwesenden mit guten Erinnerungen an ein überragendes Konzert auf, das die gesamte Breite des musikalischen Schaffens des Voodooclubs absteckt und zudem mit dem Verkauf der „Malta Tapes“ noch einen Mehrwert mit gibt. Manche von ihnen verirren sich in der benachbarten Ratstonne, wo DJ KillaSeppel bei der Heavy Metal Nix Im Scheddel-Party den einen oder anderen Indie-Rocker zu den dumpfen Klängen von Sepultura tanzen lässt.


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http://www.phillipboa.com/


http://www.youtube.com/user/pboa


http://www.myspace.com/phillipboaandthevoodooclub

Samstag, 26. Dezember 2009

Kein Pantoffelkino: Heaven Shall Burn lassen in Leipzig die Massen kreisen

Es ist anfangs nur ein Schuh, dann kommt ein weiterer hinzu. Beide werden über die Köpfe der kreisenden Masse beim Auftritt von Heaven Shall Burn gehalten. Der Bewegungsdrang bei der thüringischen Metalcore-Gruppe ist sichtlich enorm. Ruppige Rempeleien wechseln mit Bierduschen ab. Man feiert Weihnachten im Werk II.


Das ist aber nicht immer so an diesem ersten Weihnachtsfeierabend. Die sogar aus Hessen angereisten Fans warten schon seit 16 Uhr aufgeregt auf dem kalten Pflaster des Werk II-Geländes. Aber erst gegen halb sieben beginnt der Einlass zum Weihnachtskonzert der besonderen Art. Denn die Proben ziehen sich hin. Zuletzt stehen „Deadlock“ auf der Bühne und haben den „Soundcheck“ gemacht.



Kurz nachdem sie ihre Instrumente ausschalten, öffnet sich die hölzerne Tür zum „Darkness Over-X-Mas“. Die Massen strömen Karten wedelnd in die große Halle A. In diesem Jahr geben sich fast ausschließlich so genannte Metalcore-Gruppen die Klinke in die Hand. Die großen Namen der deutschen Metalcore-Szene sind hier zu sehen: Heaven Shall Burn, Neaera und Deadlock. Zum Leidwesen vieler treten heute die ebenfalls aus Deutschland stammenden Szenelieblinge Caliban nicht auf. Die schauen sich die Show der anderen Gruppen Backstage an und werden am zweiten Weihnachtsfeiertag in Hamburg auftreten. Die Gruppe wechselt sich mit den Münsteranern von Neaera ab.


Zwei Gruppen schlagen aus der Art: Die progressiven und melodiösen Death Metaller Dark Tranquillity aus Schweden und die Bühnenpiraten aus den USA – Swashbuckle.



Die einzelnen Auftritte werden mit gemischten Gefühlen aufgenommen. So erklären Deadlock später im Interview, dass sie nur diese kurze Spielzeit von fünf Songs haben, weil ihre Freunde von Heaven Shall Burn und Caliban sie gerne mit dabei haben wollen. Dafür sorgen die sechs Veganer um die hübsche Sängerin Sabine Weniger und ihrem tief grunzenden Kompagnon Johannes Prem mit ihrem Hit „The Brave / Agony Applause“ vom letzten Album „Manifesto“ für Begeisterung. Der poppige Zauber war aber nach fünf Liedern schon vorbei, aber an den erhobenen Händen und dem Jubel kann man ablesen, dass viele Fans die sympathische Gruppe lieben. 2010 ziehen sich die sechs zum Songschreiben für ein neues Album zurück. Es wird sicher nicht überraschungslos für die Fans werden. Soviel kann schon mal gesagt werden.



Nach ihrem Auftritt entern die lustigen Amerikaner von Swashbuckle die Bühne. Im wahrsten Sinne des Wortes holzen sich die Piraten durch ihr überlanges und abwechslungsloses Liedprogramm. So sehen es ein Großteil der Leute, die mit verschränkten Armen, aber dennoch interessiert der krachigen Variante des „Thrash Metal“ lauschen. Und so langweilen sich schnell die bereits rund 800 Anwesenden im vollgepackten Auditorium mit dem Anspruch „schnell, schneller, am schnellsten“. Heute ist wohl das falsche Publikum für die schunkelnden Trinklieder anwesend. Die meisten trinken kein Alkohol, und diejenigen, die es tun, versacken am Tresen bei Jägermeister und Lesen von Lidl-Einkaufszetteln.



Das Eis bricht bei den peitschenden Rhythmen von Neaera. Sie spielen einen Mix aus extremen Hardcore Punk, Death Metal und winzigen Einsprengseln Black Metal. Mittlerweile baumelt schon das riesige Backdrop der Headliner „Heaven Shall Burn“ an der Bühne. Das verspricht schon vieles. Doch die Gäste müssen warten. Inzwischen reißen Neaera das Ruder vom amerikanischen Schlingerkurs zu ihrem Gunsten um, erste Männlein und Weiblein surfen schon auf den Händen des Publikums durch den Saal. Die trampelnde Herde rast einen Kreis vor der Bühne oder rennt wild umherspringend aufeinander zu. Metalcore ist halt kein Pantoffelkino. Erste blutende Schürfwunden sind bei so manchem zu erkennen. Rücksicht sieht anders aus.



Die jungen Leute – zwischen 16 und 20 Lenzen – können bei den stimmungsvollen Schweden von Dark Tranquillity aufatmen. Ärgerlich für manche Fans ist nur, wie gleichgültig die intelligent gestrickte Musik von vielen Anwesenden aufgenommen wird. „Was ist das für eine hässliche Frau, die da vorne singt?“, so das plumpe Understatement so manchen angesichts der blonden Lockenpracht des Sängers Mikael Stanne. Doch hier und da wippen einige mit dem Fuß und öffnen sich für die erzählerische Kraft ihrer schon literarisch wertvollen Texte und den einfallsreichen Kompositionen. Dark Tranquillity erspielen sich Lied für Lied Respekt und bedanken sich zum Abschluss mit einem lautstarken „Leipzig is great“.



Die Anzahl der T-Shirts mit dem Schriftzug des Bandnamens ist inzwischen schier unübersichtlich. Hier sind die meisten nur wegen Heaven Shall Burn gekommen. Nach einer längeren Pause verdunkelt sich das Saallicht wieder, dann geht die japanische Sonne auf. Das Intro „Awoken“ ihres neuen Albums „Iconoclast“ eröffnet den munteren Reigen, der schon bei Neaera begann. Mit einer eindrucksvollen Lichtshow und der weißen Bühnengestaltung mit dem CD-Artwork von Bastian Sobtzick wird der Status von Heaven Shall Burn optisch unterstrichen. Wie ein wirbelnder Derwisch mischt der weiß gekleidete Sänger Marcus Bischoff die Fans auf, fordert sie bei den todesbleiernen Stakkato-Riffs auf, im Kreis zu rennen und gehörig umher zu springen. Nun verdoppelt sich die Anzahl der „Crowdsurfer“ bei aktuellen Liedern wie „Endzeit“ und der Coverversion „Black Tears“ von der schwedischen Death Metal-Band „Edge Of Sanity“. Letzteres wurde als Zugabe gespielt, nachdem einige Anwesende ihre Schuhe verloren und Bierduschen abbekommen haben. Die außer Rand und Band geratenen Fans feiern während des fast anderthalbstündigen Auftritts auch die älteren Hits wie „Counterweight“.


Viertel zwölf war der Zauber vorbei, die verschwitzten und erschöpften Massen strömen mit der wohl schönsten Weihnachtserinnerung in die milde Weihnachtsnacht. An der Straßenbahnhaltestelle am Kreuz wird auch der junge Mann gesichtet, der seine Schuhe beim Kreislaufen verloren hat. Barfüßig und ohne Socken sitzt er auf der kalten Stahlbank und wartet auf die Linie 11, die ihn zum Bahnhof bringen wird. So mancher wird auch an diesem Abend seine Wunden lecken und überlegen, ob manche mit dem Umherspringen übertreiben und mit ihren unkontrollierten Faustschlägen und Fußtritten anderen ein Konzerterlebnis vermiesen.


Fotos von Tine Kersten


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Mittwoch, 23. Dezember 2009

The Chariot: Wars And Rumors Of Wars

The Chariot gehen den unbequemen Weg, für sich und ihre Zuhörer. Und sie sind damit erfolgreich. Irgendwie werden sie für ihre vertrackten Hassbatzen mittlerweile genauso stark wahr genommen, wie ihre  Musik-Mathematik-Kollegen von Dillinger Escape Plan und Converge. Norma Jean haben hingegen einen recht belanglosen Weg eingeschlagen.


"Wars And Rumors Of Wars" ist ein dreißigminütiges Manifest taumelnder Rhythmen voller unbändiger Wut und ungezähmter Brachialität. Scheinbar fast schon von diesen Gefühlen blind, rasen die Amis um den ehemaligen Norma Jean-Sänger Josh Scogin durch ein chaotisches Kaleidoskop der Gewalt und Gefühlskälte. So klingt es jedenfalls. Aber The Chariot ist eine christliche ...Core-Band, wie August Burns Red beispielsweise. Und thematisch geht es dort um andere Geschichten, als nur dumpfer Zorn. Schon der Bandname verweist auf die Bibelzeile von Elias und den Feuerwagen. Also die apokalyptische Beschreibung des Propheten des Wagen Gottes. Und damit ist auch die Kernaussage zur inhaltlichen Ausrichtung von The Chariot getroffen. Das ist es nicht allein. Es geht auch um Themen wie Kapitalismus, Materialismus und um den Tod. Auch persönliche Erfahrungen fließen in die Lyrics ein. So auch auf diesem Album, wo Scogin den Verlust seines Vaters Tod thematisiert. 


Nun zur Kritik: das Album wurde in einer von der Band selbst durchnummerierten, signierten und gestempelten Auflage von 25.000 Stück produziert und gilt mittlerweile als ausverkauft. Die Preise bei Amazon & Co. gehen für den Silberling bereits in schwindelerregende Höhen. Nur über iTunes kann man sich das Album legal noch besorgen. Das war es auch schon. Für eine bekannte Untergrund-Band fast schon ein Hohn. Denn so werden illegale Kopien gerade zu gefördert. 

Overmars: Affliction, Endochrine ... Vertigo

Seit vier Jahren existiert das von Overmars geschriebene Album "Affliction, Endochrine ... Vertigo" mittlerweile. Inzwischen haben die französischen Schlepp-Core - Metaller ein weiteres Album, eine Split und eine EP nachgeschoben. Live sind sie leider nur im französischsprachigen und zu Teilen nur im westdeutschen Raum zu sehen. In den Genuss dieser Band sollte man absolut kommen.



Denn Overmars bieten zumindest bei "Affliction ..." eine schroffe, atmosphärische und dicht gepackte Mischung aus Cult Of Luna, Isis und vielleicht auch Neurosis. Da wabern elektronische flirrende Klangwelten, monoton kreiselnde Akkordfolgen und dumpf brütende Gesänge in das Hörzentrum. Möge die Gleichförmigkeit der ständigen Wiederholung nun endlich seine psychedelische Wirkung entfalten, unter deren Einflüssen die Musik vielleicht entstand. Mitunter schleichen Overmars dermaßen im schmutzigen Mulm, das sie schon die rauen Granitfelsen zum Vorschein schürfen. Neben ihren drei epischen Stücken "This Is Rape", "En Memoire ..." und "From Love To Exhausting ..." streuen Overmars postrockige Interludien ein, die sich mit tiefgründigen fünfminütigen Umwuchtungen abwechseln.


Bislang unentdeckt in deutschen Landen, ist Overmars aus Frankreich eine ernstzunehmende Band, die leider zu Unrecht im Schatten von Cult Of Luna, Isis & Co. steht. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie hier noch nicht so oft aufgetreten sind. 

Dienstag, 22. Dezember 2009

Musikalischer Farbfilm: Dioramic proggen in Technicolor

Manche Menschen haben sicher vergessen, dass Musik das Farbempfinden fördert. Klänge und Töne können viele Gefühle hervor kitzeln und uns auf eine innere Reise mitnehmen. Seit sieben Jahren versuchen drei junge Herren aus Kaiserslautern, Achterbahnfahrten zu vertonen. Dioramic heißt die 2002 gegründete metallische Hardcore Punk-Büffetplatte.



Mit "Technicolor" tauchen Arkardi Zaslavski (Gesang/Gitarre), Jochen Müller (Gesang/Bass) und Anton Zaslavski (Schlagzeug) in die verschachtelten Erzählungen ihrer von Licht und Schatten durchdrungenen Epen. In fünfzig Minuten scharwenzeln Dioramic mal sacht mal aggressiv um den Hörer. Das Trio legt ihm eine einfühlsame Instrumentalarbeit auf den Teller, übergießt das dann mit einer wütend kochenden Pfeffer-Chili-Soße, bis grob geschnittene Gemüsewürfel bunt auf die Sinne des Betrachters purzeln. Da erheben sich zornige Metalcore-Protze, es buhlen knarzige Postrock-Stimmen poppig um des Hörers Gunst und dann verdrehen sie ihm den Hals, bis der Letzte vor Staunen mit seinen aus den Höhlen purzelnden Augäpfeln zu kämpfen hat. Hier hat die taufrische Gruppe etwas ganz eigenes gebacken. Denn trotz der unglaublichen Vertracktheit jedes einzelnen Songs, verstehen es die drei ihre Geschichten mit rotem Faden zu erzählen. Sie finden immer wieder zurück auf den breiten Pfaden der eingängigen Tugenden, die Refrain oder mal Strophe heißen. Harmonien wechseln sich mit breitwandigen Riffs ab, weit ausladende Hymnen mit abrupten Brüchen und Schlüssen.


"Technicolor" ist ein beeindruckendes Debüt, das sich angenehm vom Metalcore-Wust abhebt und Hoffnung auf noch glanzvollere Weiterentwicklungen macht. "Technicolor" ist ein sattes Album, das für jeden, der die kanadischen Prog_Core-Helden von Protest The Hero mag, wie Lust auf die erzählerische Eleganz von Mastodon hat.

Mittwoch, 16. Dezember 2009

Metallica: Death Magnetic

Back To The Eightees heißt das Motto der bahnbrechenden Metalband Metallica. Auch wenn Unken die Band in den Neunzigern zu Grabe getragen haben wollen, so schaffen sie es spätestens mit "Death Magnetic" aus eben jenen wieder aufzuerstehen. 



Da blitzen die scharfriffigen Gitarren und die Shouts von "Ride The Lightning" auf, dann wieder die rockig rührenden Rhythmen der "Load" und "Reload"-Phase sowie einige leicht vertrackt epische Teile, die wir aus "... And Justice For All" kennen. Alles nur Augenwischerei, Flickschusterei? Äußeres und Inneres von "Death Magnetic" besinnen sich auf das Herz und das Imgae der wohl erfolgreichsten Metalband weltweit. Oder zumindest die bekannteste. Und das meistern sie mit Bravour. Das von Rick Rubin produzierte Album beweist zwar allen Rückgriffs, dass man mit der Band immer noch rechnen muss. All die Ausflüge bis gestern wurden über Bord geworfen, die Band scheint wieder zu ihrem Kern gefunden zu haben. 


Metallica haben mit diesem Album erkannt, dass es wohl besser ist, so zu bleiben wie man ist. Das passt auch zur konservativen Attitüde zu Metal, die Drummer Lars Ulrich immer aufzubrechen versuchte. Hier regiert die alte und auch wohlgeschliffene Metal-Axt. Ohne Rost und Staub. Metal Up Your Ass!

Donnerstag, 3. Dezember 2009

Isis: Wavering Radiant


Wabernde Klangfluten, stürmische Bassläufe und aufgebrochene Songs auf das zähflüssigste und atmosphärischste intonieren "Isis" in ihrem letzten Album "Wavering Radiant". Das haben sie schon seit jeher gemacht, aber nicht so ausgereift und so schwer zugänglich, wie auf diesem Meisterwerk. Metal geht auch ohne Klischee, man kann diese Musik doch noch vorwärts bringen.

Viele Metalfans betreiben Eskapismus der besonderen Art. Sie wünschen sich in selige Zeiten zurück, die sie vielleicht nie erlebt haben. Zeiten, wo Metal noch wie "Slayer", "Judas Priest" und "Iron Maiden" klang. Man geht auf Konzerte von "Kiss", sucht Gruppen, die genauso "wie früher" klingen und günstiger im Eintrittspreis zu haben sind. Oder Metalfans treffen sich auf fast schon überflüssige Sommer-Festivals, wo sowieso nur dieselben Gruppen spielen, die im darauf folgenden Herbst die Clubs beackern und wo niemand mehr hingeht. Feiern lustlos zusammen gezimmerte Alben, als gäbe es nichts schöneres. Nur wehe, man stört diese heile Welt.

Dass der Metal-Underground eigentlich tobt und wütet, sich die Musik immer durchdachter präsentiert und sich auch vermehrt Stilen öffnet, die eher als ernsthaft einzuordnen sind, wissen die wenigsten. So tragen "Isis" mit "Wavering Radiant" zur neuen Stoßrichtung bei, die sich vielgestaltiger präsentiert als alleine nur Metal es je vermag. Merkmal von "Isis" waren immer schon wuchtige Kompositionen, die mit stimmungsvollen Auflockerungen Abgründe und auch Horizonte öffnen, je nachdem wie heftig der Härtepegel ausschlägt.

Es sind immer noch die weit ausladenden Stücke von "Isis" da. Vielmehr ist die flirrende, grollende und ätherische Wirkung ihrer Songs noch größer und noch breitwandiger als früher. Das hat "Isis" schon immer charakterisiert: An eigene Grenzen stoßen, sie überfliegen um dann den Hörer im Humus wühlen zu lassen. Kartenhäuser brechen ein, Abgründe tun sich auf. Ihre Alben setzen wie bei einer Gemäldereihe eine Weiterentwicklung auch beim Zuhörer voraus. Aber auch Vorstellungsvermögen, die eigenen Gedanken kreisen und treiben zu lassen. Die manchmal krachig-taumelnden Lieder können innerhalb von wenigen Minuten die Stimmungen wechseln, sind meist aber von einer steinernen Melancholie gefärbt.

Die epischen "Hand Of The Host" und "Threshold Of Transformation" erzählen mit ihrer Mischung aus New Wave-Echo und brummigen Doom Metal von Sehnsüchten und Enttäuschungen. Kontrollverluste werden ausgebrüllt, dann wieder sanft und klar erzählt. Von Selbstlüge ist die Rede, wenn der pulsierende Bass im Hintergrund ein Echolot ausstrahlt. Persönliche Ansichten vom Scheitern und Schmerzen sind im stählernen Mantel der Gefühlskälte gehüllt. Frostige Traum-Entwürfe sind mit warmen Gitarrenläufen unterfüttert. Trotzdem fühlt das Album den Hörer gerade durch seine anfängliche Distanziertheit um so stärker auf den Zahn und schleicht sich ergreifend schön immer tiefer in dessen Gedankenwelt, beeinflusst sie, lässt reflektieren, bringt einen dazu, immer mehr mit eigenen Personen und Geschichten auseinandersetzen. Etwas, dass sonst als so typisch angesehene Metalsongs "The Number Of The Beast" (Iron Maiden), "Screaming For Vengeance" (Judas Priest) und dergleichen nicht vermögen. Sie wälzen sich immer noch im Mehl der Augenwischerei und im Staub der eigenen Geschichte.

Samstag, 28. November 2009

Flagge gezeigt: Mit Iron Maiden in die Wende gerutscht

Es war meine letzte Reise in ein Kinderferienlager. Damit begann alles. In der damaligen Tschechoslowakei entdeckte ich 1989 die Liebe, den Rausch und Heavy Metal. Letzteres lernte ich durch vielerlei Umstände kennen. Da waren Funktionäre, Freunde und Feindbilder, die meinen Weg kreuzten.


Natürlich kann ich nicht mehr wiedergeben, wie alle Protagonisten von damals heißen. Auch der Ort verschwimmt in meinem inneren Auge zu einer namenlosen Anhöhe in einem böhmischen Gebirgsmassiv, das nur wenige Fahrtstunden von der Schneekoppe entfernt liegt. Dort in dem von einem Kiefernforst umrahmten Anstieg befanden sich hölzerne Bungalows und im Tal ein Gemeinschaftshaus, wo wir Kinder und Jugendliche zur Disco gingen und unsere Mahlzeiten einnahmen. Damals war ich gerade 14 Jahre alt. Mitten in der Pubertät und auf der Suche nach etwas eigenem. Und einem Mädchen.


Heavy Metal war da nur zweitrangig. Ich malte und male heute immer noch gerne. Damals waren es die Konterfeibilder vom Iron Maiden-Maskottchen „Eddie“. Weil ich schon eine gewisse Zeit Übung besaß, ihn möglichst originalgetreu nachzuzeichnen, bekam ich auch den Spitznamen „Eddie“ zugeschrieben. So stellte ich mich auch neuen Kumpels vor. Auch wenn ich nur wenig von dieser Musik gehört hatte und damals Queen oder Bon Jovi das härteste meiner Empfindung nach war, identifizierte ich mich mit Heavy Metal. Warum? Viele der im Ferienlager anwesenden Jugendlichen mochten diese Musik, bewunderten meine Fähigkeit das Maiden-Monster zeichnen zu können. Nun waren es die Kumpels im Lager, die mir die Klänge von AC/DC und Slayer nahe brachten und zeigten wie man wie Angus Young auf den Schultern seines Kumpels reitet. „Das beeindruckt die Mädels“, steckte mir der jüngere Fan aus Aue, der der größte AC/DC – Fan aller Zeiten war und am coolsten abhotten konnte.


Eines Tages war es soweit. Wir gingen mit unserer Gruppe in ein Nachbardorf und separierten uns von den anderen. Mir kam das alles abenteuerlich vor. Letztlich war ich auch neugierig und fand das aufregend. Wir standen vor dem Plattengeschäft im verschlafenen Dorfzentrum, den Kopf voll mit Federweißer, den wir vorher getrunken hatten. In der Verkaufsauslage sah ich das damals noch aktuelle AC/DC-Album „Blow Up Your Video“. Dort sprang Angus Young aus dem Fernseher und machte klar, dass TV kein Rock'n'Roll ist. Wir stehen da so eine Weile herum, als ein vollbärtiger und langhaariger Mann auf uns zu kam und uns auf englisch, tschechisch und deutsch ansprach. Wir sollten mit zu ihn nach Hause kommen, da würden uns echte Schätze erwarten. Wir waren verunsichert und unsere Bedenken waren schnell ausgeräumt. Waren wir doch fünf oder sechs Leute, während er nur einer war.


In seinem Wohnzimmer lagen auf dem sonnenbeschienenen Tisch jede Menge Alben ausgebreitet. Darunter auch ein Album von Madonna. Dort befand sich auch eins von Helloween, jener deutschen Metal-Band, die seit 1987 große Erfolge feierte und justament „Keeper Of The Seven Keys Part II“ veröffentlichte. Der freundliche Kerl hatte aber den ersten Teil angeboten und fragte uns, ob wir es kaufen würden. Jemand schnappte sich das Album so flink, dass ich mich ärgerte es nicht abbekommen zu haben. Doch dann sah ich es golden blitzen und zum Vorschein kam „Eine kleine Nachtmusik“ von der britischen New Wave Of British Heavy Metal-Legende Venom. Polnische Pressung, schwer, golden und nahezu original zu dem, was jenseits des eisernen Vorhangs verkauft wurde. Eine echte Rarität, wie es sich später heraus stellen sollte. Ich zog das Album zu mir, klappte das Gatefold auf und sah die coolsten Typen der damaligen Metal-Welt. Zumindest war der langhaarige Mann mit Zylinder und Zigarre krass genug um dem Tschechen zu sagen: „Ja, ich nehme es. Wie viel?“ Ich hatte keine Vorstellung von dem, was mich erwarten würde und verwahrte das Doppelalbum bis zu meiner Ankunft in Leipzig auf. Indessen hörten wir AC/DC bei den Discos und Queen.
Bei diesen Gruppen lernte ich, wie man Luftgitarre spielt, headbangt und herum post. Natürlich macht man das nur, um Mädchen zu beeindrucken. Weniger beeindruckend war es, nach der Action zu einem Mädchen hin zu gehen und es anzusprechen. Warum? Bei diesem kindischen Ausdauersport im Diskosaal habe ich nach Schweiß gerochen, stand verschwitzt vor einer Gruppe hübscher junger Frauen und holte mir eine Abfuhr. Es muss fürchterlich für sie gewesen sein, als plötzlich ein adoleszenter Jüngling mit rotem Gesicht, röteren Pickeln und verschwitztem halblangen Haar und durchnässtem Shirt vor ihnen stand und unbeholfen stammelt: „W-w-w-willst Du mit mir tanzen?“


Metal äußerte sich während dieses Aufenthaltes auch anders. Nicht nur anerkennend, als ich zu der Venom-Scheibe auch noch die aktuelle AC/DC kaufte. Taschengeld hatte ich genug. Eines Tages fragte mich doch ein Berliner Kumpel, ob ich sein mitgebrachtes Bettlaken mit dem Eddie-Monster von Iron Maiden bemalen könnte und zeigte auf meine Filzstifte und legte noch ein paar dazu. Er besorgte noch ein paar von den Kindern, die das auch irgendwie gut fanden. Oder auch nicht. Der Berliner legte eine aktuelle Bravo auf den kleinen Sprelakart-Tisch, worin Iron Maiden mit eine rgroßen Geschichte angekündigt waren und auch das einfallsreiche Artwork gezeigt wurde. Ich legte los und ahmte das Motiv nach, das Iron Maiden für die damalige Single „Can I Play With Madness“ verwendet hatten. Es zeigt den Kopf von Eddie, dessen Schädelkalotte aufgebrochen war und von unsichtbarer Hand ausgelöffelt wurde und Flammen heraus stiegen. Wie bei einem flambierten Omelett.


Was machen Jungs, wenn sie nichts zu tun haben? Richtig. Unsinn. Die drei weißen Fahnenmasten lockten nahezu, die neue Flagge – das Iron Maiden-Tischtuch – hoch zu hieven. Nur gab es drei Probleme: jeder der drei Masten war besetzt. Dort flatterten die damalige tschechoslowakische Fahne, die Flagge der DDR und die der FDJ.


Wir berieten uns nur kurz und entschieden, dass die FDJ-Flagge runter muss, um die Iron Maiden-Flagge hoch zu leiern. Das taten wir auch. Schnell, schnell. Das darf keiner sehen. Zuvor mussten wir die FDJ-Flagge runterholen. Denn eine der beiden Staatsflaggen runter zu nehmen, wäre fast schon Landesverrat gewesen oder irgendwie kriminell. FDJ eben nicht. Kaum hatten wir die Iron Maiden-Flagge nach oben gebracht, kommt eine FDJ-Delegation angestiefelt. Zu Besuch. Wohin sie des Weges waren? Balaton.


Sie kamen sich rege unterhaltend die Anhöhe hoch, sahen den Frevel und erstarrten. Zugleich kam unser Ferienbetreuer und stellte uns zur Rede. Wir sollten unsere Fahne wieder herunter lassen. Was fiele uns denn ein und überhaupt. Er machte Anstalten, das flatternde Übel herunter zu holen, wobei wir ihn zu hindern versuchten. Ich sprang lachend auf seinen Rücken, versuchte ihn zu kitzeln, während die anderen ihm das bemalte Laken entwenden sollten. Das misslang. Er war einfach zu kräftig und zu wendig für uns Hänflinge. Wir wurden verbal zusammen gestaucht, Rückfahrkarte wurde auch angeboten.


Wir folgten und stapften zu unseren Bungalows, bis wir heraus gerufen werden sollten. Ungefähr eine halbe Stunde später war es dann soweit. Wir mussten zum Versammlungshaus. Dahinter hatte die FDJ-Delegation einen Scheiterhaufen aufgeschichtet und zum brennen gebracht. Über den knisternden Flammen brieten sie lachend auf Stöcken aufgespießte Krakauer. Wir sollten uns auch bedienen und mitmachen. Mein Betreuer meinte, ich solle mir den Haufen genauer anschauen. Und siehe da, am Rand kokelte das Laken, worauf das Eddie-Monster noch zur Hälfte griente. Jetzt verstand ich, warum die FDJler lachten. Wahrscheinlich haben sie von den DDR-Flüchtlingen gehört, wie sie nach Österreich flohen. Und so noch die letzten Züge der DDR genossen, mit realem Sozialismus verkokelten sie die jugendliche Nichtigkeit des voran gegangenen Vorfalls, wie Nazis ein Buch verbrannt hätten.









Montag, 23. November 2009

Geschichte schreiben mit Dante's Dream: Episodes wurde veröffentlicht


Neue Sparten, Nischen in der Musik zu finden ist heutzutage nicht ganz einfach. Entweder man hängt sich an den großen schnaufenden Pop-Zug, der durch jede Stadt mit viel Lärm rauscht. Oder eine junge Band setzt sich an einen geheimen Ort und ersinnt etwas ganz eigenes, das einem niemand weg nehmen kann. Man läuft dann auch Gefahr, für immer und ewig ein Nischendasein zu fristen. Aber die Chance ist genauso groß, entdeckt zu werden.


Letzteres könnte natürlich auch auf „Dante's Dream“ zutreffen. Die Leipziger Eclectic Popper haben unlängst ihr Erstlingswerk „Episodes“ veröffentlicht. Anders als andere Gruppen, springen „Dante's Dream“ nicht auf den kunterbunten Trend und versuchen besonders schrill oder laut zu sein. Plakative Posen wird man bei „Dante“ nicht finden. Stattdessen wogen zwölf feinsinnige und dennoch eingängige Stücke durch die Lautsprecherboxen. Vielschichtig stricken und weben die vier Musiker Geschichten , die jeder erleben könnte. Es ist auch so, dass „Dante“ nicht immer leise tönen, sondern auch dramatisch aufwallen können.


So steigt das Album mit friedlichem Froschquaken ein, suggeriert eben die kleine Nische am Ufer eines Teichs, der still und ruhig in der Abendsonne glänzt. Doch mit zunehmender Laufzeit öffnet sich der anfänglich unbeschwerte Blick in die eigenen Gedanken, die man beim Hören von Liedern wie „Supernova“ und „Episodes“ entwickelt. Bis man im letzten Teil des Albums beim dem Stück „Das edle Herz“ aufblickt und gar nicht mehr den kleinen Teich sieht. Man schaut stattdessen in die aufgewühlte Seele des Albums. Die weit ausladende Geste, die manchmal in den einzelnen Stücken aufblitzt, verschwindet zum wahrhaftigen Ausdruck, zur großen Lyrik. In seiner Zurückhaltung sagt „Episodes“ mehr als nur wetteifernd verzerrte Gitarren und brachial geschrieene Ungerechtigkeiten. Bei „Episodes“ geht es vielmehr um das echte Gefühl, und das, was man fühlen könnte sich aber nie zugetraut hat, auszudrücken. Egal ob die Gitarren braten und die Songs überraschende Wendungen gehen.


Mit „Episodes“ haben „Dante's Dream“ ein Album mit großer erzählerischer Kraft eingespielt. Sowohl musikalisch als auch textlich. Dabei vermeiden die Musiker, dass das Album trotz seiner offenen Zugänglichkeit auf die Schnelle konsumiert werden kann. „Dante's Dream“ gelingt es, trotz mancher lauten Momente von „Episodes“ auch die Stille klingen zu lassen.






„Episodes“ ist limitiert auf 1.000 Exemplare, ist aber als MP3-Download bei iTunes und musicload.de erhältlich. Außerdem ist das Album noch in den Geschäften „Ohrakel“, „Klanggarten“, „PhonoCentrum“ und „Whispers“ erhältlich.


Dante's Dream: Episodes, ersch. Eigenvertrieb 2009, aufgenommen 2009 im Studio „Kick The Flame“, Songtitel: 01. Dante's Theme, 02. Supernova, 03. Episodes, 04. Insane, they say, 05. Give In, 06. Satellite, 07. The Queen And The Jester, 08. Prelude, 09. Elegy, 10. In Th eName Of, 11. Dante's Theme (Reprise), 12. Das edle Herz


Dauer: 48 Minuten